Legende zum Interview
Sprechzimmer: Frau Isenschmid, im Frühling haben Fastenkuren Hochkonjunktur. Wie sieht gesundes Fasten aus?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Wer fastet sollte eine minimale Energiemenge von 300 bis 500 kcal/Tag zu sich nehmen. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr, mindestens 2.5 Liter pro Tag, in Form von Mineralwasser, Tee, Gemüsebrühen, Obst- und Gemüsesäften deckt den notwendigen Gehalt von Mineralsalzen und ein Minimum an Nährstoffen ab. Auf keinen Fall soll mit einer ''Null-Diät'' versucht werden Kilos loszuwerden.
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Sprechzimmer: Viele fürchten sich vor vorausgehenden Darmreinigungen. Muss das wirklich sein?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Wichtig ist, dass bereits ein bis zwei Tage vor der Fastenkur der Körper an Leichtkost gewöhnt wird. Suppen, Obst und Gemüse eignen sich da besonders. Abführen mit Einläufen oder Darmreinigungen mit Salzen (z.B. Glaubersalze) sind aus wissenschaftlicher Sicht nicht nötig und führt zu unnötigem Durchfall. Der gesunde Darm reinigt sich ständig von selbst und benötigt keine Hilfe von ''aussen''.
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Sprechzimmer: Immer wieder hört man, dass gefastet wird, weil man den Körper ''Entschlacken'' will. Was halten Sie davon?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Schlacke bedeutet ein Rückstand, der bei metallurgischen Abläufen entsteht. Ein Ver- respektive Entschlacken des menschlichen Körpers ist aber wissenschaftlich weder belegbar noch vertretbar. Der gesunde menschliche Organismus entsorgt Stoffwechselendprodukte oder angefallene Toxine und Schadstoffe problemlos nach der Entgiftung durch die Leber über die Nieren, die Haut und den Darm.
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Sprechzimmer: Was ist dann aus Ihrer Sicht so gesund am Fasten?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Ein temporärer Unterbruch von Ernährungsgewohnheiten - dazu gehört selbstverständlich auch der Verzicht auf Alkohol, Nikotin, Kaffee und Süssigkeiten - scheint bei vielen Menschen die Fasten, ein allgemeines seelische, körperliches und geistiges Wohlbefinden (es kann sogar zu euphorischen Zuständen kommen) hervorzurufen und das ist der Grund, warum viele fast ''fastensüchtig'' sind. Ich betone aber: Fasten kann nur Menschen mit einer psychischen, physischen und mentalen Gesundheit empfohlen werden. Kranke, Schwangere oder Stillende, alte Menschen und Kinder dürfen nicht Fasten.
Aber auch für Gesunde kann Fasten belastend sein: Beschwerden wie niedriger Blutdruck, Unterzuckerung, Mattigkeit, Niedergeschlagenheit, Kopfschmerzen können auftreten. Ausserdem werden störender Mund- und Körpergeruch oder das Ausbleiben der Monatsblutung beobachtet.
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Sprechzimmer: Wie lange und wie oft darf gefastet werden?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Beim Abbau von Depotfetten können abgelagerte Substanzen in den Blutkreislauf gelangen. Das gefährliche daran ist, dass die fettlöslichen Substanzen aber nicht total ausgeschieden werden. Bei einer Fastenperiode von etwa drei bis vier Wochen ein bis zweimal jährlich mit ausreichend Bewegung, mässiger Eiweisszufuhr besteht diese Gefahr für den Stoffwechsel und die Muskulatur nicht. Längerandauerndes Fasten hingegen ist ein massiver Einschnitt in den Organismus, welcher dann auf ein Notprogramm umstellt. Die Folgen sind ein Muskelabbau, Mineralstoff- und Vitaminmangel, der Mensch fühlt sich ausgelaugt, gestresst müde und alles andere als erholt.
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Sprechzimmer: Wer dauerhaft Abnehmen will soll Fasten, was meinen Sie?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Hier muss ich klar «Nein» sagen. Bei 80-90 Prozent von Übergewichtigen sind innerhalb eines Jahres nach dem Fasten erneut zu schwer. Fasten kann ein guter Beginn sein, um Kilos loszuwerden. Danach muss zwingend das Ernährungs- sowie Bewegungskonzept überdacht und entsprechend angepasst werden.
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Wir bedanken uns herzlich bei Frau Dr. Bettina Isenschmid für die spontane Zusage und das äusserst informative Interview und wünschen ihr weiterhin viel Erfolg in Ihrer Arbeit als Präventionsexpertin.
Zur Interview-Partnerin
Frau Dr. med. et MME Bettina Isenschmid ist als Psychiaterin und Psychotherapeutin FMH Ko-Leiterin des Kompetenzbereichs Adipositas, Ernährungspsychologie und Prävention von Essstörungen (KEA) an der Universitätspoliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung des Inselspitals Bern.
Als Präsidentin resp. Vorstandsmitglied der Vereine PEP Bern und PEP Suisse beschäftigt sie sich mit Projekten der Prävention und Früherkennung und der Schulung von Mediatorinnen diverser Berufsgruppen aus Gesundheitswesen und Pädagogik.
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