HPV:''Es müssen beide Geschlechter geimpft werden!''
Prof. Dr. Harald zur Hausen, Nobelpreisträger für Medizin im Jahr 2008 und ehemaliger Leiter des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und Vorreiter für die HPV-Impfung zu neuen Erenntnissen über das enorme Krebspotential des HP-Virus.
Das Interview führte Dr. med. Timothy Collen für das Fachblatt Schweizerische Zeitschrift für Onkologie. Der Bericht wurde für Fachleute geschrieben, enthält aber auch für Laien interessante Aspekte. Wo möglich, wurden die fachmedizinischen Ausdrücke ausgedeutscht. (Red. Sprechzimmer).
Dr. med. Timothy Collen: Herr Prof. zur Hausen, die Hypothese, dass Infektionen mit Viren in einem Kausalzusammenhang mit der Entstehung von Malignomen (bösartigen Tumoren) zu sehen sind, war in den Siebzigerjahren ein vollständig neuer Denkansatz. Wie kamen Sie damals zu dieser bahnbrechenden Hypothese?
Prof. Dr. zur Hausen
Dieser Zusammenhang gilt für menschlichen Krebs, nicht jedoch für Tumoren bei Tieren. Denn schon um 1900 gab es Hinweise, dass die Tumorentstehung bei Tieren etwas mit Infektionen zu tun hat; dies war erstmalig 1898 für Warzen bei Hunden festgestellt worden. Besonders erwähnenswert ist auch die Entdeckung in den Dreissigerjahren bezüglich des Shopeschen Papillomavirus, welches bei Hauskaninchen Malignome hervorrief. Zudem wurden in den Fünfzigerjahren Viren identifiziert, die bei Mäusen Leukämien hervorriefen.
Bezogen auf den Menschen war es bis in die Siebzigerjahre jedoch so, dass kein Virus oder Bakterium bekannt war, welches Krebs auslöste. Dies, obwohl das Epstein-Barr-Virus in den Sechzigerjahren durch Epstein und Mitarbeiter elektronenmikroskopisch entdeckt wurde und unsere Arbeitsgruppe selber 1968/69 zeigen konnten, dass dieses Virus zelltverändernde Eigenschaften besitzt.
Dr. med. Timothy Collen: Wann kam es dann zu der klaren Assoziation mit Malignomen (bösartigen Tumoren)?
Prof. Dr. zur Hausen
Ein klarer Bezug zu Tumoren konnte eigentlich erst Anfang der Siebzigerjahre hergestellt werden, als Virus-DNA in Tumorzellen des Burkitt- Lymphoms gefunden wurde. Die Skepsis gegenüber der Hypothese, dass ein Zusammenhang zwischen Infektionen und Tumoren bestehe, war bis in die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts weitverbreitet.
1968/69 habe ich in Philadelphia einen Reviewartikel von Rowson und Mahy gelesen, welcher über das menschliche Papillomavirus (HPV) berichtete. Da ist mir klar geworden, dass es sich dabei um ein Virus handelte, welches gar noch nicht richtig erforscht war. Die Autoren beschrieben, dass genitale Warzen gelegentlich in bösartige Tumoren übergehen können. Zum gleichen Zeitpunkt kam der Verdacht auf, dass das Herpes-simplex-Virus etwas mit genitalen Tumoren zu tun haben könnte. Mir wurde jedoch relativ rasch klar, dass dieser Zusammenhang nicht korrekt ist, und ich richtete deshalb mein Augenmerk auf die Papillomaviren. Bei unseren Untersuchungen haben wir recht früh gesehen, dass die ursprüngliche Annahme, wonach lediglich ein Typ von Papillomaviren beim Menschen bestehe, verworfen werden musste.
Dr. med. Timothy Collen: Wir wissen heute, dass auch noch andere Viren und Erreger mit einer Tumorbildung assoziiert sind. Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach generell Infektionen bei der Entstehung von Malignomen?
Prof. Dr. zur Hausen
Sie können dies ungefähr kalkulieren: 21% der Malignome sind mit Infektionen assoziiert. Davon werden knapp 1% durch Parasiten verursacht, beispielsweise die Bilharziose vor allem in Ägypten oder die Leberegel im Südosten Thailands und in Südchina.
Sie können davon ausgehen, dass weitere 35% durch Bakterien verursacht werden, zum Beispiel Helicobacter pylori. Die verbleibenden 64% werden durch Viren ausgelöst.
Dr. med. Timothy Collen: Denken Sie, dass in 30 Jahren viralen Infektionen sogar eine deutlich grössere ko-karzinogene Wirkung zugeschrieben wird?
Prof. Dr. zur Hausen
Ich glaube, dass das keine 30 Jahre dauern und es rascher gehen wird. Ich glaube, dass Viren in zunehmendem Umfang mit Leukämien und Lymphomen, vor allem aber auch mit Dickdarmkrebs in Zusammenhang gebracht werden. Sollte sich Letzteres bewahrheiten, würde sich der vorhin genannte Anteil von 21% auf 35% erhöhen, da der Dickdarmkrebs einer der häufigsten Tumorarten auch in unseren Breitengraden darstellt. Insofern glaube ich schon, dass sich die Rate in Zukunft deutlich erhöhen wird. Virusinfektionen sind die bedeutsamste identifizierte Krebsursache, sogar im Vergleich zum Tabakrauchen.
Dr. med. Timothy Collen: Betrachten wir den Zusammenhang zwischen HPV und Rachenkrebs. HPV-positive Rachentumore scheinen eine bessere Prognose bezüglich des Überlebens und der lokalen Rückfallrate zu haben. Wie lässt sich Ihrer Meinung nach das bessere Ansprechen der HPV-positiven Rachentumore erklären?
Prof. Dr. zur Hausen
Es ist schwierig, darauf eine klare Antwort zu geben, zumal sich bei Schamlippen- und Peniskarzinomen etwas Ähnliches abzeichnet. Im Moment würde ich spekulieren, dass die relativ deutliche Immunogenität der viralen Antigene bei dieser Art von Tumoren eine zusätzliche Immuninterferenz erlaubt, die möglicherweise die bessere Prognose erklärt. Dies kann ich aber nicht sicher belegen.
Dr. med. Timothy Collen: Verschiedene europäische Länder haben eine Impfempfehlung bezüglich der HPV-Vakzination ausgesprochen. In der Schweiz gibt es eine kontroverse Diskussion der Durchimpfung der 11- bis 14-Jährigen in den verschiedenen Kantonen. Viele Eltern sind punkto Kinderschutzimpfungen zurückhaltend eingestellt. Was würden Sie skeptischen Eltern im Hinblick auf eine HPV-Impfung raten?
Prof. Dr. zur Hausen
Es ist wahr, dass gerade in den deutschsprachigen Ländern die Bereitschaft zur Impfung relativ gering ist. Die Ursachen hierfür sind sicherlich vielschichtig und zum grössten Teil darin begründet, dass gerade in den deutschsprachigen Zeitungen sehr intensiv über angebliche Nebenwirkungen berichtet wurde. Seit Beginn der Impfung sind zwischenzeitlich mehr als 50 Millionen Mädchen mit den verfügbaren Impfstoffen behandelt worden.
Die uns zur Verfügung stehenden Daten zeigen, dass es kein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko gibt. Es handelt sich um einen sicheren, extrem wirksamen Impfstoff. In praktisch allen Fällen kommt es zur Antikörperbildung gegen den Impfstoff und somit zum Schutz gegen die HPV-Infektion. Zudem ist der Impfschutz nach den ersten klinischen Untersuchungen sicherlich über einen Zeitraum von 7 bis 8 Jahren vorhanden, vermutlich ist er auch über einen längeren Zeitraum ausreichend wirksam.
Dr. med. Timothy Collen: Würden Sie die Impfung auch für männliche Jugendliche empfehlen?
Prof. Dr. zur Hausen
Zur Frage, ob man auch die Knaben impfen sollte, lautet meine Antwort eindeutig: Ja!
Man sollte dies aus mehreren Gründen tun: Zum einen wird durch das Impfen der Knaben auch ein Schutz der späteren Partnerinnen gewährleistet. Zum anderen ist die Impfung wichtig, weil Rachen- und Analkrebs bei Männern häufiger als bei Frauen auftreten. Einer der Impfstoffe schützt zudem vor Genitalwarzen, eine sehr unangenehme Erkrankung.
Der entscheidende Punkt ist aber: Wenn wir diese Virusinfektion wirklich wirksam bekämpfen wollen – und dazu haben wir eine realistische Chance –, dann können wir das nur in einer voraussehbaren altersmässigen Zeitspanne tun. Dazu müssen wir beide Geschlechter impfen! Skeptischen Eltern würde ich raten, sich hinreichend über die uns vorliegenden Daten bezüglich der HPV-Impfung zu informieren.
Die WHO hat darüber ein Exposé geschrieben, es liegen aus allen Ländern inzwischen Berichte vor, dass diese Impfung mit geringsten Nebenwirkungen behaftet ist. Ich würde den Eltern sagen, dass sie unbedingt den Schutz für ihre Kinder gewährleisten sollten.
Dr. med. Timothy Collen: Welche Bedeutung haben
noch Zellen im Vorkrebsstadium des Gebärmutterhalses?
Prof. Dr. zur Hausen
In vielen Ländern werden Konisationen (Entfernung von Gewebe am Muttermund) bei höhergradigen Vorstufen des Gebärmutterhalskrebses durchgeführt. In Deutschland haben wir 140'000 Konisationen pro Jahr, dabei kommt es in 2 bis 7% der Fälle vermehrt zu Fehl- und auch Frühgeburten, ausserdem wird eine geringfügig erhöhte Kindersterblichkeit beobachtet. Schon allein zur Vermeidung der Vorstufen des Gebärmutterhalskrebses sollten wir unbedingt diese Impfung durchführen lassen.
Dr. med. Timothy Collen: Wie viele Jahre vergingen von der Idee, dass Papillomaviren mit dem Gebärmutterhalskrebs assoziiert sind, bis zur Impfstoffherstellung?
Prof. Dr. zur Hausen
Die Impfung wurde 2007 eingeführt, somit sind mehr als 37 Jahre vergangen. Das ist ein sehr langer Zeitraum, und auch für mich ist es bedrückend, dass es so lange gedauert hat, zumal ich 1984 bereits erste Kontakte herstellte, um die Entwicklung eines Impfstoffs vorantreiben zu können.
Dr. med. Timothy Collen: Abschliessend interessiert mich, welches Virus heute Ihrer Meinung nach besondere Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit der Entstehung von bösartigen Tumoren verdient.
Prof. Dr. zur Hausen
Da gibt es mehrere "Anwärter", ich denke jedoch vor allem an zwei Viren. Zum einen sind es die Anelloviren, welche einen sehr eigentümlichen Lebenszyklus besitzen und fast 100% der Menschen infizieren, zum anderen sind es die Polyomaviren, welche potenziell karzinogen sind und bei denen mutmasslich ein Zusammenhang mit dem Merkel-Zellkarzinom (ein seltener, aber sehr bösartiger Hauttumor) besteht.
Anmerkung des Interviewers
Ich möchte erwähnen, dass ich zu keinem Zeitpunkt den Eindruck hatte, dass Professor zur Hausen in einem Interessenkonflikt mit den Firmen steht, welche die beiden Impfstoffe herstellen. Im gesamten Gespräch kristallisierte sich heraus, dass es dem Forscher und Mediziner zur Hausen lediglich darum geht, durch die Vakzination, die auf seinen Erkenntnissen beruht, einen nützlichen Schutz vor einem gefährlichen Virus zu bieten.
02.03.2011