Nahrungsmittel-Allergien nehmen zu
Jedes 3. Kind in Europa leidet unter einer Allergie. Experten am grössten europäischen Dermatologenkongress (EADV) in Wien befürchten eine Allergie-Epidemie: „Im Jahre 2015 ist jeder zweite Europäer allergiekrank“, so ihre düstere Prophezeiung.
Mit frühzeitiger Diagnostik und gezielter Behandlung – vor allem mit der spezifischen Immuntherapie – können die Symptome gelindert und oft sogar ganz zum Verschwinden gebracht werden.
Als Allergie bezeichnet man die Überreaktion des Immunsystems auf bestimmte Substanzen in der Umwelt. Diese werden entweder eingeatmet (z.B. Pollen, Hausstaub, Tierhaare), verzehrt (Lebensmittel, Arzneimittel) oder direkt über die Haut aufgenommen. Eine Allergie kann die Nasenschleimhaut betreffen, die Bronchien, die Augen, die Haut oder – bei einem allergischen Schock – den ganzen Körper. „In schweren Fällen, etwa infolge einer heftigen Asthmaattacke oder einer allergischen Reaktion auf ein Nahrungsmittel bzw. einen Insektenstich, kann eine Allergie auch tödlich verlaufen“, erklärte Prof. Johannes Ring von der Technischen Universität München in Deutschland. An der Haut führen allergische Reaktionen meist zur Ekzembildung und zu teils heftigem Juckreiz.
Situation bei Kindern ist erschreckend
In industrialisierten Ländern nehmen Allergien dramatisch zu; sie verbreiten sich praktisch wie ein Lauffeuer. In Europa sind inzwischen etwa 30 Prozent der Bevölkerung betroffen. Erschreckend ist die Situation unter den Jüngsten: Schon heute leidet jedes dritte Kind an mindestens einer Allergie – 30 bis 50 Prozent von ihnen werden später zusätzlich an Asthma erkranken. Bis zum Jahr 2015, so die Schätzung der European Academy of Allergology and Clinical Immunology (EACCI), wird die Hälfte aller Europäer allergiekrank sein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass in Europa derzeit jede Stunde ein Mensch an Asthma stirbt.
Immunsystem wird zu wenig trainiert
Die Ursachen sind nicht eindeutig geklärt, doch ist die Zunahme der Allergiehäufigkeit wahrscheinlich auf den „modernen“ Lebensstil zurückzuführen: Mangelndes Training des Immunsystems aufgrund geringer Infektionshäufigkeit sowie isolierte Wohnungen mit erhöhter Belastung durch Milben- und Schimmelpilzallergene können entscheidende Rollen bei der Allergieverbreitung spielen. Der durch die globale Erwärmung verstärkte Pollenflug sowie die erhöhte Feinstaubbelastung sind weitere wichtige Faktoren.
Allergien werden häufig nicht ernst genommen
Die Betroffenen nehmen ihre Beschwerden oft genug nicht ernst und auch in der Öffentlichkeit und Gesundheitsversorgung werden Allergien nach wie vor bagatellisiert: So werden nach Schätzungen wissenschaftlicher Fachgesellschaften nur 10 Prozent der Patienten mit Atemwegsallergien korrekt therapiert. Eine Unterversorgung mit drastischen Folgen: Kranke Schüler können sich im Unterricht nicht konzentrieren und erzielen deutlich schlechtere Ergebnisse; Berufstätige sind in ihrer Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt. Nach Angaben der Stiftung Europäisches Zentrum für Allergieforschung (ECARF) belaufen sich die Kosten in Europa, die den Volkswirtschaften aufgrund einer unzureichenden Versorgungen von Allergikern entstehen, auf jährlich 20 Milliarden Euro.
Vermischte Allergien: Lebensmittel-Unverträglichkeit und Hautbeschwerden
Auch die gesundheitlichen Konsequenzen sind dramatisch: Wird eine Allergie nicht ausreichend therapiert, schreitet sie stetig voran – die Erkrankung verselbständigt sich. So entwickeln beispielsweise 40 Prozent der unbehandelten Heuschnupfenpatienten im Laufe der Zeit ein mitunter lebensbedrohliches allergisches Asthma. Bei Kindern vermischen sich die allergischen Erkrankungen – bedingt durch die Vielzahl unterschiedlicher Auslöser, auf die der kindliche Organismus reagiert. Viele Mädchen und Jungen klagen über häufig wechselnde allergische Symptome; sie vertragen bestimmte Lebensmittel nicht und haben gleichzeitig Neurodermitis und Heuschnupfen.
Spezifische Immuntherapie einzige ursächliche Behandlungsmethode
Geholfen werden könnte den meisten Patienten mit einer spezifischen Immuntherapie (SIT) – auch als Allergie-Impfung oder Hyposensibilisierung bekannt. Die SIT ist die einzige Möglichkeit Atemwegs- und Insektengift-Allergien ursächlich zu behandeln. Bei der Therapie erhält der Patient regelmässige Injektionen eines Präparats mit „seinem“ Allergen (Auslöser) in einer standardisierten Zubereitung. Alternativ können auch täglich oder mehrmals wöchentlich Tropfen unter die Zunge geträufelt werden (sublinguale Therapie).
Seit kurzem ist auch eine Tablette verfügbar, die Allergene aus Gräserpollen enthält und innerhalb von Sekunden unter der Zunge zergeht. Ziel der Behandlung ist es, das Immunsystem toleranter gegen die Allergieauslöser zu machen. „Auf dem Gebiet der Immuntherapien haben sich in den vergangenen Jahren dramatische Fortschritte ergeben“, erläutert Prof. Ring. „Eine solche Behandlung führt zu einer deutlichen und anhaltenden Linderung der Beschwerden und kann darüber hinaus bei den meisten Heuschnupfenpatienten vor Asthma schützen.“ Die Erfolgsquoten der SIT liegen zwischen 80 und 90 Prozent, bei Insektengift-Allergien bei nahezu 100 Prozent.
Europäisches Allergieprojekt wird von Politik unterstützt Auf europäischer Ebene laufen derzeit verschiedene Projekte, mit denen Diagnose und Behandlung von Allergien verbessert werden sollen. Besonders erwähnenswert ist das Global Allergy and Asthma European Network (GA2LEN, im Internet: www.ga2len.net), an dem 30 Wissenschaftsteams aus 16 europäischen Ländern teilnehmen. Ziel des Projekts ist es, Daten zur Häufigkeit und Entstehung von Allergien – vor allem bei Kindern – zu sammeln und einheitliche Standards für die Diagnose und Therapie allergischer Erkrankungen zu entwickeln. In der Politik hat das Projekt breite Unterstützung gefunden: Die Europäische Kommission finanziert das Netzwerk mit 14 Millionen Euro.
25.05.2010