Neuer vielversprechender Therapieansatz für Patienten mit Multipler Sklerose entwickelt
Ein internationales Team von Forschern, Ärzten, Technikerinnen und Study Nurses um Prof. Roland Martin von der Klinik für Neurologie des UniversitätsSpitals Zürich hat ein neues Verfahren zur Frühbehandlung der Multiplen Sklerose entwickelt und erfolgreich in einer ersten klinischen Studie geprüft.
Für dieses Verfahren konnte gezeigt werden, dass die spezifisch gegen Myelinantigene gerichtete Autoimmunreaktion bei Patienten mit Multipler Sklerose reduziert wurde. Die Ergebnisse dieser sogenannten ETMIS-Studie werden in der aktuellen Nummer der renommierten Zeitschrift „Sience Translational Medicine“ publiziert.
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Studien sowohl beim Menschen als auch im Tiermodell haben zur Erkenntnis geführt, dass Immunzellen, die gegen körpereigenes Gewebe gerichtet sind, sogenannte autoreaktive T-Zellen, eine entscheidende Rolle in der Auslösung und der Erhaltung der Erkrankung einnehmen. Die derzeit zugelassenen Behandlungen der MS hemmen nicht ausschliesslich spezifische autoreaktive T-Zellen, sondern auch lebenswichtige, „gesunde“ Anteile der Immunantwort des Körpers. Idealerweise sollten sich MS-Therapien spezifisch nur gegen jene Immunzellen richten, welche die Erkrankung auslösen. Ziel des neuen Verfahrens war es, die verlorengegangene, normalerweise bestehende Immuntoleranz gegen körpereigenes Gewebe wieder herzustellen.
Das Projekt wurde von Dr. Andreas Lutterotti (Medizinische Universität Innsbruck) im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes im damals von Prof. Martin geführten Institut für Neuroimmunologie und Klinische Multiple Skleroseforschung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf initiiert. Die Weiterentwicklung des Verfahrens und die Überprüfung der klinischen Wirksamkeit bei grösseren Patientenzahlen mittels einer Phase II Studie wird jetzt am UniversitätsSpital Zürich, an das Prof. Martin mit einem Teil seines Teams vor zwei Jahren gewechselt ist, in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Innsbruck vorbereitet. Prof. Roland Martin schaut voraus: „Sollte sich der Nutzen der Therapie in einer Phase II Studie bestätigen, gilt das Verfahren als ein vielversprechender Ansatz nicht nur in der Behandlung von verschiedenen Autoimmunerkrankungen, sondern auch in der Transplantationsmedizin und bei allergischen Erkrankungen.“
Ausbruch und Fortschritt der Krankheit im Tiermodell verhindert
Bei dem neu entwickelten Therapieansatz werden Blutzellen mit einem krankheitsauslösenden Selbstantigen in Anwesenheit einer Kopplungssubstanz inkubiert. Dadurch werden diese Antigene an die Oberfläche der Zellen gekoppelt. Die Peptid-gekoppelten Zellen werden dem Patienten am Tag der Behandlung mittels Infusion zurückgegeben und leiten Prozesse ein, die die krankheitsverursachenden Immunmechanismen abschalten und die gewünschte Immuntoleranz wieder herstellen.
Im Tiermodell konnte durch umfangreiche Experimente in den letzten 30 Jahren insbesondere durch die Arbeitsgruppe von Prof. Stephen Miller an der Northwestern University in Chicago (Ko-Autor der ETMIS-Studie) gezeigt werden, dass dieses Verfahren wirksam ist. Es gelang, nicht nur den Ausbruch, sondern insbesondere auch das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern, und dies bei MS wie auch bei anderen Autoimmunerkrankungen. Beim Tier konnte das Verfahren auch erfolgreich die Abstossung von Transplantaten verhindern und schwere Allergien hemmen. Prof. Roland Martin sagt: „Wenn es uns gelingt, diese Reaktionen auch im Menschen nachzuweisen, sind wir einen grossen Schritt weiter in der Behandlung von Autoimmunerkrankungen und der Multiplen Sklerose.“
Hoch wirksam und gut verträglich
Für den erstmaligen Einsatz im Menschen wurde vom Team um Prof. Roland Martin gemeinsam mit dem Institut für Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Dr. Andreas Sputtek) ein Herstellungsprozess etabliert, um das autologe Zellprodukt unter den von den Behörden geforderten Bedingungen herzustellen. Dabei werden Patienten weisse Blutkörperchen entnommen, und in einem Reinlabor unter sehr hohen Sicherheitsauflagen verarbeitet.
Diese Zellen werden dem Patienten am gleichen Tag intravenös zurückgegeben und durchlaufen dann den sogenannten programmierten Zelltod (Apoptose). Im Körper werden dauernd grosse Mengen körpereigener Zellen auf diesem Wege ausgetauscht und hierbei von Fresszellen in einer Weise beseitigt, die dem Immunsystem signalisiert, dass es sich um „normalen“ Zelltod handelt und dass keine Immunreaktion gegen diese untergehenden Zellen begonnen wird.
Diesen Mechanismus, das Immunsystem gegen Autoantigene des Gehirns tolerant zu halten, macht man sich bei dem neuen Verfahren zunutze. Besonders bei Patienten, die die hohen Dosen der behandelten Zellen erhielten, zeigten sich Hinweise für die Wirksamkeit auf die autoimmune Entzündung bei MS bei gleichzeitig sehr guter Verträglichkeit. Die Therapie wurde in Hamburg in einer Phase I Studie (Etablierte Toleranz bei MS – ETIMS Studie) an neun MS Patienten geprüft. Die Patienten erhielten unterschiedliche Mengen der eigenen Peptid-gekoppelten Zellen bis zu einer Maximaldosis von 3 Milliarden Zellen. Klinische, bildgebende und immunologische Parameter wurden verwendet, um die Sicherheit und Verträglichkeit von ETIMS zu prüfen. In von Dr. Mireia Sospedra, Leiterin MS-Labor am UniversitätsSpital Zürich, durchgeführten immunologischen Untersuchungen wurden die Effekte der Therapie auf das Immunsystem erforscht.
Die Therapie wurde von allen Patienten gut vertragen, und es traten keine Sicherheitsbedenken auf.
12.06.2013