Arzneimittelsicherheit bei bei neuen Medikamenten - Experteninterview
PD Dr. Stefan Russmann, Leiter Pharmakoepidemiologie und Arzneimittelsicherheit am Universitätsspital Zürich, klärt über Risiken mit neuen, unbekannten Medikamenten - insbesondere auch zu neuen MS-Medikamenten - auf.
Sprechzimmer: Herr Dr. Russmann, Sie haben in Ihrem Vortrag zur Arzneimittelsicherheit bei neuen Medikamenten die tragenden Säulen zur Bewertung der Sicherheit eines neuen Medikaments sehr schön dargestellt. Ist der Eindruck richtig, dass der Phase nach der Zulassung eine viel grössere Bedeutung zukommt als früher?
PD Dr. Stefan Russmann
Ja, im Gegensatz zu früher ist das Risikomanagement von möglichen Sicherheitsproblemen neuer Medikamente heute ein sehr proaktiver Prozess. Es werden nicht nur Fallberichte zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen sowohl von Behörden als auch von den Herstellern weltweit gesammelt und in Datenbanken zusammengestellt, zusätzlich werden bei Bedarf oft auch Register eingerichtet und pharmakoepidemiologische oder auch weitere klinische Studien mit Sicherheits-Endpunkten durchgeführt. Heute ist es auch nicht mehr unüblich, dass die Durchführung solcher zusätzlicher Sicherheitsstudien gleich als Bedingung für die Zulassung verhandelt wird.
Sprechzimmer: Zu welchem Zeitpunkt soll ein Medikament denn idealerweise auf den Markt kommen dürfen?
PD Dr. Stefan Russmann
Ganz allgemein in dem Moment, in dem solide Daten ein positives Risiko-Nutzen Verhältnis belegen. Im Einzelfall ist das aber natürlich eine komplexe Abwägung.
Sprechzimmer: Wie beurteilen Sie als Spezialist der Klinischen Pharmakologie das Risiko-Nutzen-Verhältnis der neuen oralen MS-Medikamente, verglichen zu den Standardmedikamenten, zum jetzigen Zeitpunkt?
PD Dr. Stefan Russmann
Im Moment sieht es so aus als ob mehrere neue Medikamente einerseits wirksamer sind, andererseits aber das Risiko von schweren Nebenwirkungen gleichzeitig höher ist. Daher werden diese Medikamente heute eher als Behandlung zweiter Wahl bei Nichtansprechen eingesetzt. Möglicherweise wird sich diese Einschätzung aber zumindest für einige der neuen Medikamente ändern, dazu müssen weitere klinische und epidemiologische Studien durchgeführt werden.
Sprechzimmer: Wie kann diese Risiko-Nutzen Bewertung auf den einzelnen Betroffenen angewendet werden?
PD Dr. Stefan Russmann
Neue Informationen zu Wirksamkeit und Risiken sind die rationale Basis für die individuelle Risiko-Nutzen Abwägung im Einzelfall. Denn die Therapiewahl für den einzelnen Patienten ist immer eine individuelle Entscheidung, bei der Arzt und Patient gemeinsam persönliche Einstellungen zu Heilung und Risiken gegeneinander abwägen.
Sprechzimmer bedankt sich herzlich bei Herr Dr. Russmann für seine Ausführungen.
Zum Interviewpartner
PD Dr. Stefan Russmann, Leiter Pharmakoepidemiologie und Arzneimittelsicherheit am Universitätsspital Zürich.
Anlässlich des Medien-Aperos in Zürich zum Thema "Neue Medikamente: Abwägen von Risiko und Nutzen" referierte Dr. Russmann zu ''Arzneimittelsicherheit neuer Medikamente: Das Risiko mit dem Unbekannten".
21.12.2010 - dzu