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MS-Langzeittherapie und Hautreaktionen

Bei der Langzeitbehandlung der schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose spielt Interferon beta eine wichtige Rolle. Interferon beta hilft das Immunsystem des Körpers zu modulieren und Entzündungen zu reduzieren.

Wegen seiner Eiweissstruktur kann der Wirkstoff nicht geschluckt werden, da er sonst im Magen unwirksam gemacht würde. Deshalb muss Interferon beta gespritzt werden. Hautreaktionen können mit Injektiomaten vermindert werden. Personen mit Spritzenangst hilft der Injektiomat die Therapiehürde zu nehmen.

Die Haut, unser grösstes Organ mit vielfältigen Aufgaben

Der Mensch ist von oben bis unten in Haut gehüllt. Gegenüber der Aussenwelt bildet unser grösstes Organ einen hochspezialisierten Schutzwall. Damit die Haut ihren vielfältigen Aufgaben gerecht werden kann, ist sie in mehreren Schichten aufgebaut. In jeder Schicht befinden sich für sie typische Zellstrukturen, die entsprechende Funktionen erfüllen.

Schematische Darstellung der Haut

Blutgefässe (rot/blau)

Nervenfasern (schwarz)

Schweissdrüse (gelb)

Haar mit Aufrichtemuskel und Talgdrüse

Oberhaut (Epidermis)

Lederhaut (Dermis, Corium)

Unterhaut (Subkutis) mit Fettgewebe

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Immunzellen und Nervenzellen

Unter den vielen verschiedenen Zellstrukturen der Hautschichten befinden sich auch wichtige Zellen der Immunabwehr und Nervenzellen. In den oberen Hautschichten (Oberhaut, Lederhaut) kommen verschiedene Immunzellen (z.B. dendritische Zellen, Mastzellen, T-Zellen) und Nervenzellen resp. Nervenendigungen besonders zahlreich vor. Diese Zellen spielen bei der Auslösung von entzündlichen Hautreaktionen eine zentrale Rolle. Die Unterhaut (Subkutis) besteht v.a. aus Fettgewebe, das durch Bindegewebestränge in einzelne Fettläppchen unterteilt wird. In den Bindegewebesträngen laufen auch Blutgefässe und Nervenstränge.

Mit jeder Injektion in den Unterhautbereich können je nach Einstichstelle verschiedene Zelltypen verletzt werden: Immunzellen können dabei aktiviert werden und Nervenzellen können vermehrt Substanzen (z.B. Neuropeptide) ausschütten, welche ihrerseits das Immunsystem stimulieren und Juckreiz, Brennen und Schmerzen auslösen. Diese Faktoren können bei gewissen Personen zur Auslösung von lokalen, entzündlichen Hautreaktionen führen.

Bild 1: Lokalreaktion mit Rötung und zentraler Schwellung nach Injektion von Interferon beta Bild gross

 

Da die Unterhaut v.a. aus Fett besteht und im Vergleich zu den oberen Schichten weniger Immunzellen und Nervenendigungen zu finden sind, ist es sehr wichtig, dass tief genug in die Unterhaut gestochen wird und aller Wirkstoff dahin gelangt und nicht in oberen Hautbereichen verbleibt, da sonst wegen der grösseren Zahl an Immun- und Nervenzellen mit stärkeren Reaktionen zu rechnen ist.

Die Reaktion der Haut kennt viele Ausdrucksformen

Jeder Mensch und damit auch jede Haut reagiert unterschiedlich auf einen Reiz. Dabei spielen innere und/oder äussere Einflüsse wie genetische Prädisposition, innere Erkrankungen, Medikamente, Infekte, Nahrungsmittel eine Rolle. Die Haut antwortet auf solche Reize mit unterschiedlichen Reaktionsmustern wie der Bildung eines roten Fleckens, einer Quaddel, Papel, Pustel oder Bläschen.

Blutgefässe werden erweitert, zusätzlich können Serum und entzündliche Zellen austreten und entzündliche Botenstoffe (z.B. Zytokine) freigesetzt werden. Die betroffene Hautfläche reagiert mit Wärmebildung, Schmerzen und Brennen. Mastzellen setzen Substanzen frei (z.B. Histamin), welche ferner auch Juckreiz auslösen können.

MS-Patienten können unter trockener Haut und Juckreiz leiden. Deshalb ist die richtige Hautpflege besonders wichtig, damit der Teufelskreis von Juckreiz – Kratzen mit Störung der Hautbarriere und Feuchtigkeitsverlust – trockene Haut – Juckreiz durchbrochen werden kann.

Teufelskreis Juckreiz – Kratzen mit Störung der Hautbarriere und Feuchtigkeitsverlust – trockene Haut – Juckreiz

 

 

Gesunde Haut durch regelmässige Hautpflege

Für die Hautpflege stehen verschiedene Pflegeprodukte zur Verfügung. Diese Mittel bestehen grundsätzlich aus Fett/Öl und Wasser, die in bestimmten Mengen gemischt werden. Je nach Anteil dieser zwei Inhaltsstoffe unterscheidet man zwischen fettangereicherten Salben und Lotionen (sogenannte Wasser-in-Oel-Emulsionen) oder überwiegend wasserhaltigen Crèmes und Lotionen (Oel-in-Wasser-Emulsionen).

Fettangereicherte Salben und Lotionen sind speziell geeignet zur Pflege von trockener Haut. Auf geröteten, entzündeten oder nässenden Hautstellen werden als Grundlage wasserhaltige Crèmes und Lotionen vorgezogen, da sie eher kühlend und weniger wärmestauend wirken.

Eine korrekte Injektionstechnik kann Hautreaktionen durch verhindern

Interferone müssen regelmässig gespritzt werden, damit es seine Wirksamkeit optimal entfalten kann. Umso wichtiger ist es deshalb, dass der Patient die Anweisung des Arztes oder der Instruktionsschwester zur Durchführung der Injektion genauestens befolgt, um allfällige Hautreaktionen zu vermeiden. Und zwar nicht nur zu Beginn der Therapie, sondern während der ganzen Dauer der Behandlung.

Treten lokale Hautreaktionen auf, zeigen sie sich in umschriebenen, geröteten Hautveränderungen (siehe Bild 1), welche in der Regel nach ein paar Tagen verschwinden. Manchmal können die Hautrötungen aber auch etwas grösser sein und länger verbleiben. Neben der Hautrötung treten zum Teil auch Schwellungen, Schmerzen, Jucken oder Brennen auf.

Die korrekte Behandlung – auch von milden Hautrötungen – ist langfristig sehr wichtig. Werden länger bestehende Hautveränderungen nicht rechtzeitig und richtig behandelt, kann dies weitgehende Folgen haben.   Durchblutungsstörungen bewirken, dass die Haut darüber nicht mehr genügend versorgt wird. Es können kleine Hautdefekte oder Abszesse entstehen. In Einzelfällen kann sich sogar eine Nekrose (schwarze, abgestorbene Haut) entwickeln. Dies kommt zum Glück nur selten vor. Auch unter der Hautoberfläche reagiert das Gewebe, wenn es nicht abheilen kann. Es kann zu Gewebsumwandlungen, einer Art „Vernarbung“ kommen, die als Knötchen unter der Haut spürbar sind.   Neben einer korrekten Injektionstechnik, ist es sehr wichtig, dass lokale Hautreaktionen leichten bis mittleren Grades frühzeitig und fachgerecht behandelt werden (siehe Tipps zur Behandlung von lokalen Hautreaktionen) und bei länger bestehenden Hautveränderungen nicht zu lange mit dem Arztbesuch oder der Konsultation einer Instruktionsschwester zugewartet wird.

Tipps für eine optimale Verträglichkeit an der Injektionsstelle

  • Die Injektionstechnik ist das A und O, um eine optimale Verträglichkeit zu erzielen und unerwünschte Wirkungen zu vermeiden!
  • Lassen Sie deshalb Ihre persönliche Injektionstechnik von Zeit zu Zeit von einer Fachperson, am besten eine MS-Instruktionsschwester, überprüfen, auch wenn Sie schon lange Erfahrung mit der Therapie haben. Die Fachperson weiss immer wieder neue Tipps und Empfehlungen abzugeben.
  • Wechseln Sie die Einstichstelle bei jeder Injektion.
  • Es ist wichtig, möglichst alle der in Frage kommenden Körperstellen zu benutzen.
  • Eine Körperstelle sollte frühestens nach einer Woche wieder benutzt werden.
  • Achten Sie darauf, die Nadel vollständig einzuführen, damit das Produkt in die Fettschicht der Unterhaut gespritzt wird. Dadurch sollten Sie auch weniger Hautreaktionen und Schmerzen empfinden.
  • Spritzen Sie nie in Bereiche mit Schwellungen oder festen Knoten (Gewebsverhärtungen).
  • Kühlen Sie vor und nach jeder Injektion die Einstichstelle während etwa 10 Minuten, z.B. mit einem Kühlkissen, Eisbeutel oder Quarkwickel. Sie können die Hautstelle auch danach immer wieder während ein paar Minuten kühlen. Die Kühlung verengt die Blutgefässe und dadurch kann die Rötung und Schwellung rascher zurückgehen. Erfrierungen treten nicht auf, wenn zwischen Haut und Kühlbeutel ein Tuch gelegt wird.
  • Auch die Gerb- und Bitterstoffe im Schwarztee wirken entzündungshemmend, was zu einer Schmerzlinderung beitragen kann. Anleitung: Teebeutel mit heissem Wasser aufgiessen, einige Minuten ziehen lassen, leicht ausdrücken und in den Tiefkühler legen. Nach einigen Stunden ist der Teebeutel gefroren und kann als kühlender Wickel verwendet werden.
  • Ein eventuell an der Nadel verbleibender Tropfen sollte durch sanftes Klopfen an die Spritze entfernt werden, damit aller Wirkstoff in die Unterhaut injiziert wird und nicht in höher gelegene Hautschichten. Grund: Die oberen Hautschichten (Oberhaut, Lederhaut) weisen mehr Immun- und Nervenzellen resp. Nervenendigungen auf als die Unterhaut und können deshalb stärker auf einen Reiz reagieren.

Tipps zur Behandlung von lokalen Hautreaktionen

Leichte Reaktionen

  • Kühlen: Coldpack, Kühlkissen, Eisbeutel (vorher und nachher)
  • Kühlende Wickel: Schwarztee
  • Hautpflege mit Crème oder Lotion (sogenannte Oel-in-Wasser-Emulsionen). Wird die Crème im Kühlschrank gelagert, ergibt sich ein weiterer Kühleffekt.
  • Polidocanolhaltige Crème welche juckreizstillend wirkt. Ihr Arzt oder Ihre Instruktionsschwester können Ihnen ein für Sie geeignetes Präparat empfehlen.

Crèmes, Gels oder Lotionen mit höherem Wasseranteil (sogenannte Oel-in-Wasser-Emulsionen) wirken feuchtigkeitsspendend und kühlend für die Haut. Fettangereicherte Salben und Lotionen (sogenannte Wasser-in-Oel-Emulsionen) eignen sich weniger auf nässenden oder hoch entzündeten Hautveränderungen, weil sie die Haut stärker bedecken und mehr Wärme gestaut wird. Pflanzliche Extrakte aus Hamamelis, Kamille, Ringelblume, etc. wirken zusätzlich entzündungshemmend.

Hier muss beachtet werden, dass manche Menschen allergisch auf diese Zusatzstoffe reagieren können. Bei Neigung zu Allergien ist es ratsam, immer zuerst auf einer kleinen Hautfläche die Crème auszuprobieren. Falls nach 1-2 Tagen keine Reaktion sichtbar wird, kann die Crème auch grossflächig angewendet werden.

Mittlere Reaktionen

  • Kühlende Wickel: Schwarztee
  • Hautpflege mit Crème oder Lotion. Wird die Crème im Kühlschrank gelagert, ergibt sich ein weiterer Kühleffekt.
  • Polidocanolhaltige Crème, welche juckreizstillend wirkt. Ihr Arzt oder Ihre Instruktionsschwester können Ihnen ein für Sie geeignetes Präparat empfehlen.
  • Arzt aufsuchen. Eine kortisonhaltige Crème (2-3 Tage) ist hier hilfreich.
  • Bei beginnenden und entzündeten Gewebeverhärtungen kann eine kortisonhaltige Crème unter einem bedeckenden Verband (Okklusion) helfen, bei älteren Herden helfen manchmal Wärmeapplikationen. Leider ist die Behandlung solcher Hautveränderungen häufig unbefriedigend. Deshalb ist es umso wichtiger, die Haut vorher gut zu pflegen, beginnende Lokalreaktionen gleich zu behandeln und die erwähnten Tipps zu befolgen, damit erst gar nicht Verhärtungen entstehen können.

Schwere Hautreaktionen

  • Schwere Hautreaktionen gehören in die Hand eines Arztes.

Keine Angst vor lokal angewendetem Kortison

Kortison ist ein körpereigenes Hormon, das in der Nebennierenrinde gebildet wird. Diese "natürliche" Substanz kann heutzutage pharmazeutisch hergestellt werden. Es wirkt unter anderem entzündungshemmend, anti-allergisch und anti-proliferativ (hemmt die Zellteilung). Auf Grund dieser therapeutischen Eigenschaften können entzündliche Lokalreaktionen vermindert werden und die Entstehung schwerer Reaktionen mit Gewebsverhärtungen (festen Knoten) reduziert werden.

„Soviel wie nötig, so wenig wie möglich.“ Wird Kortison richtig angewendet, kommen Nebenwirkungen bei lokaler Anwendung nur noch sehr selten vor. Fragen Sie eine Fachperson, Ihren Arzt oder Dermatologen wie Sie das Kortison anwenden sollen. Zum Schluss: Bei allfälligen Fragen/Problemen nehmen Sie am besten mit Ihrer Instruktionsschwester oder Ihrem Arzt Kontakt auf!

Das Wichtigste in Kürze

  • Bei allfälligen Fragen/Problemen sollte immer mit der Instruktionsschwester oder dem Arzt Kontakt aufgenommen werden.
  • Die korrekte Injektionstechnik ist das A und O, um Hautreaktionen vermeiden zu können.
  • Die persönliche Injektionstechnik sollte von Zeit zu Zeit immer wieder von einer Fachperson überprüft werden.
  • Es sollten möglichst alle der geeigneten Injektionsstellen benutzt werden.
  • In Bereiche mit Schwellungen oder festen Knoten (Gewebsverhärtungen) darf nie gespritzt werden.
  • Lokale Hautreaktionen leichten bis mittleren Grades sind fachgerecht zu behandeln, und bei länger bestehenden Hautveränderungen sollte nicht zu lange mit dem Artzbesuch/Konsultation einer Instruktionsschwester zugewartet werden. 
  • Keine Angst vor lokal angewendeten Kortisonpräparaten: Nebenwirkungen kommen heute sehr selten vor, wenn Kortison richtig angewendet wird. 
Mediscope

Dr. med. Gerhard Emrich

Gerhard Emrich hat in Wien Medizin studiert. Er ist Medizinjournalist mit langjähriger Erfahrung in medical writing.

Doris Zumbühl

Doris Zumbühl ist diplomierte Medizinische Praxisassistentin. Sie verfügt über mehrere Weiterbildungen in den Bereichen Journalismus, IT und Bildbearbeitung.
 
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