700‘000 Schweizerinnen und Schweizer haben ein Hörproblem
Gut jeder Zehnte über 18-Jährige in der Schweiz ist von einem Hörproblem betroffen. Was lange vermutet wurde, konnte nun erstmals repräsentativ erhoben und bestätigt werden. Doch nur zwei von fünf Betroffenen tragen auch Hörgeräte.
39% der von Hörverlust betroffenen Schweizerinnen und Schweizer tragen ein Hörgerät, das sind nur zwei von fünf Betroffenen. So leben in der Schweiz 430‘000 Menschen mit einem so genannt „unversorgten“ Hörverlust, d.h. sie tragen keine Hörgeräte. 37% der Betroffenen haben einen milden Hörverlust, 44% einen mittleren und 19% einen schweren bis hochgradigen Hörverlust.
Hörverlust – ein unterschätztes Thema
„Die politischen Rahmenbedingungen werden an den moderaten und hochgradigen Hörverlusten ausgerichtet. Dabei werden die rund 250‘000 Betroffenen mit mildem Hörverlust vergessen, die durch ihren Hörverlust bereits eine Beeinträchtigung im Alltag erleben. Das müsste nicht sein, denn milde Hörverluste lassen sich besonders gut mit einer Hörhilfe kompensieren – die Hörfähigkeit bleibt intakt. Was viele sich nicht bewusst sind: Über die Zeit ‚verlernt‘ das Gehirn zu hören. Die Verarbeitung ankommender Hörreize muss später mit Hörgeräten wieder antrainiert werden. Eine frühzeitige Anpassung von Hörgeräten ist aus medizinischer Sicht daher besonders empfehlenswert“, so Dr. Dorothe Veraguth, leitende Ärztin Audiologie an der ORL-Klinik des Universitätsspitals Zürich.
Gesundheitliche Auswirkungen
Dass insgesamt drei von fünf von Hörverlust Betroffene keine Hörgeräte tragen, erstaunt. Insbesondere, da dies erhebliche Folgen haben kann: Menschen mit einem unversorgten Hörverlust tragen ein höheres Risiko, depressiv zu werden,2 da sie sich aufgrund ihrer verminderten Hörfähigkeit immer mehr von der Gesellschaft und vom Sozialleben zurückziehen. Auch die EuroTrak Studie bestätigte dies: 4% der Hörgeräteträger gaben an, in den letzten zwei Wochen Symptome einer Depression gehabt zu haben. Bei den Befragten mit Hörverlust aber ohne Hörgerät waren es 11%. Auch physisch ist es ermüdend, nicht gut zu hören. Die Betroffenen, die kein Hörgerät tragen, gaben an, abends physisch und mental müder und ausgelaugter zu sein als Hörgeräteträger.
Weitere Informationsarbeit notwendig
Wie die Schweizer EuroTrak Befragung ergab, sind viele Betroffene der Ansicht, der eigene Hörverlust sei noch zu wenig gravierend, um ein Hörgerät zu tragen. Andere vermuten, Hörgeräte seien unbequem und für Lärmsituationen nicht geeignet. „Wir haben noch weitere Informationsarbeit zu leisten, denn heutige Hörtechnologie hat nichts mehr mit den Hörgeräten zu tun, die wir als Kind bei unseren Grosseltern gesehen haben. Heutige Hörgeräte sind klein, leistungsstark und auch beim Design hat sich viel getan“, so Dr. Luca Mastroberardino, Sprecher des Verbands HSM (Hearing System Manufacturers) Schweiz. „Unsere Gesellschaft wird immer älter. Immer mehr Menschen werden früher oder später mit einem Hörverlust konfrontiert. Wer nicht mehr gut sieht, kauft sich eine Brille. Hörgeräte sollen zu einer ähnlichen Selbstverständlichkeit werden.“
Schweizer wollen neuste Hörtechnologie
Was die Studie auch ergab: Herr und Frau Schweizer setzen auf neuste Hörtechnologie. 60% der Schweizer Hörgeräteträger tragen Geräte, die 0-3 Jahre alt sind. Die neuste Technologie hat auch einen Einfluss auf die Zufriedenheit. Diese ist in der Schweiz sehr hoch: 84% sind mit ihrem Hörgerät zufrieden bis sehr zufrieden. Werden die Hörgeräte mehr als 8 Stunden am Tag getragen, ist die Zufriedenheit sogar noch höher, sie liegt dann bei sehr hohen 90 Prozent.
Und das Tragen von Hörgeräten bedeutet ein Plus an Lebensqualität. Schweizer Hörgeräteträger gaben an, selbstbewusster zu sein, seit sie Hörgeräte tragen. Auch habe sich die Kommunikation stark verbessert. „Betroffene nehmen vermehrt an Aktivitäten mit anderen teil, sind unabhängiger und fühlen sich sicherer mit Hörgerät“, so Georg Simmen, Präsident von Pro Audito Schweiz, der Organisation für Menschen mit Hörproblemen. Er begrüsst die Studie: „Endlich wissen wir repräsentativ, wie viele Menschen in der Schweiz von Hörverlust betroffen sind. Für sie werden wir uns gemeinsam stark machen.“
Angehörige spielen eine entscheidende Rolle Meist realisieren Angehörige schon früh, dass etwas mit der Hörfähigkeit ihres Partners/ihrer Partnerin oder ihrer Eltern nicht mehr stimmt. Danach befragt, welche Aspekte die Betroffenen schlussendlich dazu bewegten, sich ein Hörgerät anpassen zu lassen, gaben 65% der Schweizer Befragten an, ihr Hörvermögen habe sich verschlechtert. 52% wurden von nahen Angehörigen auf das Thema angesprochen und zu einer Hörgeräteanpassung motiviert, 50% agierten auf Empfehlung des Ohrenarztes; 19% liessen sich von anderen Hörgeräteträgern überzeugen. Angehörige spielen eine wichtige Rolle – doch das Ansprechen eines Hörproblems ist nicht immer einfach. Doch heute braucht sich niemand mehr für einen Hörverlust zu schämen.
„Es ist doch normal, dass in unserem Alter gewisse Sinne nachlassen“, so der bekannte Bergführer und Hotelier Art Furrer. Aus eigener Erfahrung weiss er, dass es sich lohnt, etwas gegen den Hörverlust zu unternehmen: „Die Lebensqualität, die ich durch meine Hörgeräte gewonnen habe, ist unbezahlbar!“ Auch der beliebte Schweizer Musiker Pepe Lienhard trägt seit zwei Jahren Hörgeräte und ist stolz darauf. "Ich kann nur allen sagen: Euer Leben wird besser, schämt euch nicht! Ohne Hörgeräte verpasst man viel zu viel."
01.10.2012