Akute Rückenschmerzen – Schmerzlinderung und Übungstherapien
80% aller Menschen erleiden irgendwann eine Rückenschmerzepisode, 8 bis 10% davon entwickeln chronische Beschwerden. Moderne Richtlinien plädieren für einfache diagnostische und therapeutische Schritte: Schmerzlinderung und Übungstherapien, möglichst wenig bildgebende Abklärungen.
Der Artikel wurde für Ärzte als Fortbildung geschrieben, enthält aber auch für Laien interessante Aspekte.
Hier eine Zusammenfassung aus dem Fachblatt ArsMedici.
Inhalt
- Warnzeichen bei Rückenschmerzen
- Wann bildgebende Verfahren, respektive wann nicht?
- Die Chronifizierungsfalle bei Rückenschmerzen
- Behandlungsstrategie des akuten unspezifischen Rückenschmerzes
- Behandlungsstrategie bei chronischen unspezifischen Rückenmerzen
Akute Rückenschmerzen sind für viele Arztkonsultationen, diagnostische Massnahmen und therapeutische Interventionen verantwortlich. Rückenschmerzen sind zum Beispiel der häufigste Überweisungsgrund in eine ambulante Physiotherapie; das wären dann etwa 60% aller ärztlichen Verordnungen.
85% aller Rückenschmerzpatienten gelten als Patienten mit "unspezifischem" Rückenschmerz, das heisst, es ist kein konkreter Grund für die Schmerzen auffindbar. Allerdings: Bis zu 90% der Rückenschmerzpatienten erholen sich innerhalb von 6 Wochen komplett, nur 8-10% entwickeln chronische Beschwerden.
*Warnzeichen bei Rückenschmerzen – hier kann sich etwas Ernsthaftes hinter dem Rückenschmerz verbergen:
- Alter unter 20 oder über 55
- Konstanter Ruheschmerz
- Nächtlicher Schmerz
- Reduzierter Allgemeinzustand (Gewichtsverlust, Fieber)
- Blasenentleerungsstörungen
- Sensibilitätsstörungen am Gesäss (Verminderung der Berührungs- und Drucksensibilität)
- Gesteigerter Reflex, erhöhter Spannungszustand der Muskeln, Koordinationsstörungen
- Ausfälle, Lähmungserscheinungen
- Wirbelkörperverletzung in der Vergangenheit, Osteoporose, Tumorleiden
- Therapieresistenz und Symptomzunahme nach vierwöchiger Therapie
- Länger andauernde Einnahme von Steroiden, Immunsuppression, Drogenmissbrauch, HIV-Infektion
Wann bildgebende Verfahren, respektive wann nicht?
Beim akut auftretenden Lendenrückenleiden (sogenannte Lumbalgien) braucht nach sorgfältiger Krankengeschichte und körperlichen Untersuchungen weder ein Röntgenbild noch eine Computertomographie oder ein MRI zu erfolgen; darüber sind sich die Fachkreise und Guidlines-Verantwortlichen sowie die Vertreter von Krankenversicherern einig.
In der täglichen Praxis wird dies aber zu wenig berücksichtigt. Um einen Patienten "zufrieden zustellen" wird häufig schon zu Beginn der Behandlung ein Röntgenbild oder eine Computertomographie (CT) veranlasst.
Es ist aber auch nicht immer einfach, dem Patientenwunsch nach Röntgenbild, CT oder MRI mit überzeugenden Argumenten entgegenzusetzen.
Eine Beispielsstudie aus Amerika zeigt: Bei 35’039 Lumbalgiepatienten erfolgte bei 28% innerhalb der ersten 28 Tage und bei 4.6 zusätzlichen Prozent innerhalb von 180 Tagen eine bildgebende Diagnostik. Bei über 80% der Patienten wurden Röntgenbilder angefertigt, bei den anderen wurde eine Computertomographie oder ein MRI veranlasst.
Weitere Faktoren, welche vermehrt zu bildgebenden Untersuchungen führten:
- Weisse Hautfarbe
- Guter Versicherungsschutz; bei geringerem Versicherungsschutz wurde erst später eine bildgebende Untersuchung veranlasst, teuere Verfahren kamen nicht zum Einsatz
- Allgemeinpraktiker, welche in einer grossen Praxis arbeiten
- Anreiz für die Patientenzufriedenheit
Die Chronifizierungsfalle bei Rückenschmerzen
Das Positive vorab: 80-90% der Patienten, welche ihre Rückenbeschwerden beim Hausarzt behandeln lassen, brauchen nach drei Monaten keine Therapie mehr.
Doch: 30 bis 40% davon müssen später erneut wegen anhaltenden Beschwerden behandelt werden.
Für die Chronifizierung der Beschwerden scheinen psychosoziale Faktoren eine grosse Rolle zu spielen.
Eine wichtige Rolle spielen dabei folgende Faktoren:
- Frühere Rückenschmerzepisoden
- Geringe Arbeitszufriedenheit, geringe Entlöhnung
- Fehlende Bewältigungsstrategien
- Ängstliches Vermeidungsverhalten
- Manuelle oder körperlich belastende Arbeit
- Übergewicht
- Rauchen
- Seelische Beschwerden, welche sich im körperlichen Schmerz zeigen
- Geringe Bewegung /no Sports
- Juristische Auseinandersetzungen
- Angst, Depressionen
- Emotional belastende Lebensumstände (Trennung, Scheidung, Tod einer nahe stehenden Person)
Behandlungsstrategie des akuten unspezifischen Rückenschmerzes
- Eine gründliche Krankengeschichte soll ähnliche Schmerzcharakteristika aus zum Beispiel vorangegangenen ähnlichen Episoden oder Traumata eruieren und Warnzeichen* erkennen.
- Bei fehlenden Warnzeichen reichen die gründliche Krankengeschichte und die körperliche Untersuchung als Abklärung.
- Patientenaufklärung: Beruhigung! Aufklärung über den zumeist günstigen Verlauf. Aufforderung zur Bewegung; Bettruhe und Inaktivität verschlimmern die Situation, das ist wissenschaftlich belegt.
- Schmerzbekämpfung mit möglichst einfachen Mitteln: Kälte- oder Wärmpeapplikationen, ev. Schmerzpflaster lokal, einfache Schmerzmittel (Paracetamol, evt. nichtsteroidale Antirheumatika NSAR (Aufzeigen von möglichen Nebenwirkungen)
- Muskelentspannung: Kurzfristig können Benzodiazepine (Beruhigungsmittel) eingesetzt werden (Achtung Suchtpotenzial).
- Alternative Mittel: Wirbelsäulen-Manipulationen (z.B. nach Dorn), oberflächliche Wärmeanwendungen
Behandlungsstrategie bei chronischen unspezifischen Rückenmerzen
Von chronischen Rückenschmerzen spricht man, wenn die Beschwerden mehr als 12 Wochen andauern. Chronische Rückenschmerzen gelten als die häufigste Schmerzart und haben weit reichende Konsequenzen für den Betroffenen, das Gesundheitswesen und die Arbeitswelt. Sie sind der zweithäufigste Grund für eine IV-Berentung. Meist haben bereits umfangreiche Therapien nichts oder nur wenig gebracht.
Moderne Therapierichtlinien empfehlen:
- Übungstherapien zu Verbesserung des Halte- und Bewegungsapparates
- Ziel: Kräftigung, Dehnung und Verbesserung der Ausdauer sowie Stabilisierung der Wirbelsäule
- Verhaltenstherapie zur Verbesserung des Schmerzverhaltens
Diese Massnahmen verbessern die Lebensqualität und helfen bei der Reintegration ins Arbeitsleben.
Diese Massnahmen waren Gegenstand einer schweizer/norwegischen Studie: Im Vergleich zu Behandlungen ohne Übungstherapien führte das Einhalten der Richtlinien zu einer Reduktion von Arbeitsabsenzen. Auch nach 6 Monaten waren die Arbeitsabsenzen deutlich geringer.
Dabei zeigte sich, dass gerade Heimübungen und Übungstherapien mit verhaltenstherapeutischen Ansätzen sehr effektiv waren. Übungstherapien, welche einen Bezug zur Arbeit herstellen, brachten auch Verbesserungen, aber nicht so deutlich.
22.12.2010