Angeborene Herzfehler: Risiko auch nach Operation
Die Operation eines angeborenen Herzfehlers unmittelbar nach der Geburt des Kindes rettet zwar dessen Leben. Sie beseitigt aber nicht das Risiko späterer lebensbedrohender Herzkrankheiten im Jugend- und Erwachsenenalter, wie eine aktuelle Studie zeigt.
Trotz erfolgreicher operativer Korrektur des schweren angeborenen Herzfehlers „Transposition der grossen Arterien“ kurz nach der Geburt litten fast 50 Prozent der Patienten als Erwachsene an Herzrhythmusstörungen, die medikamentös oder via Herzschrittmacher behandelt werden mussten und in seltenen Fällen auch tödlich verliefen.
Erst-Autor und Herzspezialist Markus Schwerzmann vom Inselspital: „15 bis 20 Jahre nach erfolgreicher Korrektur eines schweren angeborenen Herzfehlers nehmen lebensbedrohende Herzprobleme leider wieder zu. Deshalb braucht es medizinische Fachleute, die über die Fachgebiets- und Klinikgrenzen eng zusammenarbeiten und die Patienten lebenslang beraten und behandeln können.“ Neben international vernetzten Spezialisten für Geburtshilfe, Intensivmedizin, Herzmedizin, Herzchirurgie und Narkosemedizin für Kinder und für Erwachsene gehören dazu im Inselspital auch Psychologen und Mitarbeitende des Sozialdienstes.
Betreuung vor und nach der Geburt
Wie eine solche lebenslange Betreuung aussieht und wie die betroffenen Patienten ihren Alltag meistern, zeigten das Inselspital und zwei Selbsthilfe-Organisationen am Dienstag an einem Medienseminar in Bern auf. Die Betreuung beginnt mit der vorgeburtlichen Diagnostik: Via Ultraschall können Herzfehler des Kindes bereits im Mutterleib erkannt und stabilisierende oder gar lebensrettende Massnahmen in der kritischen Zeit unmittelbar nach der Geburt ergriffen werden, wie Boris Tutschek, Leitender Arzt Geburtshilfe, und Mathias Nelle, Leiter Neonatologie, erläuterten. Natürlich möchten auch Frauen mit angeborenem Herzfehler Kinder haben. Sie benötigen eine ganz besondere Betreuung während ihrer Schwangerschaft, die ebenfalls interdisziplinär im Perinatalzentrum des Inselspitals erfolgt.
Wichtig: Ansprechperson und Austausch
Technisch lassen sich angeborene Herzfehler aller Schweregrade und die Folgekrankheiten heute dank moderner Technik und geeigneter Medikamente gut behandeln, wie Kardiologe Prof. Bernhard Meier, die Herzchirurgen Prof. Thierry Carrel und Alexander Kadner und der Kinder-Intensivmediziner Bendicht Wagner darlegten. Ebenso wichtig wie High Tech sei aber die psychologische Betreuung der betroffenen Eltern in einer emotionalen Stress-Situation, unterstrich Prof. Jean-Pierre Pfammatter, Leiter Kinderkardiologie: „Die Eltern brauchen unbedingt eine konstante Ansprechperson.“ Patientin Elisabeth Leuenberger ergänzte: „Wir sind sehr froh, dass das Inselspital seit einiger Zeit eine Spezialsprechstunde für uns Herzfehler-Patienten anbietet.“
Patientengruppen helfen
Wichtig ist auch der Erfahrungsaustausch in Selbsthilfegruppen und Patientenvereinigungen, wie Monika Stulz von der Elternvereinigung herzkranker Kinder (EvhK) und Eva Troxler von der Erwachsenen-Patientenvereinigung „Cuore Matto“ betonten. Daneben spielt auch die praktische Lebenshilfe eine wesentliche Rolle, von der Organisation gemeinsamer Ausflüge, Vorträge und einem Ferienlager für herzkranke Kinder über Berufsberatung, Sexualberatung und Familienplanung bis zum Austausch von Spitalerfahrungen. Für Patientin Elisabeth Leuenberger waren letztere offensichtlich positiv und prägend: Die 29-Jährige liess sich zur Pflegefachfrau ausbilden und arbeitet heute in der Bettenstation der Universitätsklinik für Herz- und Gefässchirurgie des Inselspitals.
Zahlen und Fakten
- In der Schweiz kommen pro Jahr rund 700 Kinder mit einem Herzfehler zur Welt. 300 davon müssen medikamentös oder operativ behandelt werden; 100 davon sind Notfälle.
- Über 90 Prozent überleben bis ins Erwachsenenalter, benötigen aber eine lebenslange Betreuung.
- Fünf universitäre Spitalzentren betreuen in der Schweiz Erwachsene mit angeborenem Herzfehler: Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich. Bern ist eines der grössten Erwachsenen-Zentren.
- Am Inselspital besteht rund um die Uhr ein Bereitschaftsdienst für die kardiologische und chirurgische Behandlung von Kindern oder Erwachsenen mit Herzfehlern, inklusive Intensivstation und Anästhesie im Dauerbetrieb.
- Die Herzspezialisten am Inselspital sind international vernetzt: Mitarbeit an nationalen und europäischen Forschungsprojekten (Risiken bei Schwangerschaft, Hirnschlag-Risiko bei Herzfehler-Patienten, Lungenhochdruck-Register), enger Kontakt zu US-amerikanischen und kanadischen Zentren (Philadelphia, University of Toronto, McMaster University in Hamilton).
- Herzfehler-Beispiele: Verengung der Hauptschlagader, vertauschte Ausgänge aus den Herzkammern (Transposition der grossen Gefässe), Loch in der Herzscheidewand (Vorfhofseptumdefekt, Ventrikelseptumdefekt), verengte Herzklappen, Fehlmündung gewisser Gefässe (Lungenvenenfehlmündung), nicht ausgebildete Gefässe oder Herzkammern usw.
Selbsthilfe-Organisationen
- Elternvereinigung für das herzkranke Kind EvhK, Monika Stulz, Schmitteweg 9, 5413 Birmenstorf, Tel. 056 225 17 14, www.evhk.ch
- Cuore Matto, Vereinigung für Jugendliche und Erwachsene mit angeborenem Herzfehler, Eva Troxler, Mülinenstr. 20, 3626 Hünibach, Tel. 033 243 28 14, http://www.cuorematto.ch
19.08.2008