Behandlung von Depression und Angststörungen: Aktueller Forschungsstand, Therapieoptionen und Trends
Am 10. April 2014 fand in Zürich zum fünften Mal das Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) statt. Das diesjährige Jubiläums- Symposium vermittelte den zahlreichen teilnehmenden Fachpersonen ein fundiertes Update über die Behandlung von Depression und Angststörungen unter Berücksichtigung aktueller Forschungs- und Zukunftstrends.
Neues im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie
Auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es seit Längerem viele innovative Entwicklungen. Frau Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Susanne Walitza, Ärztliche Direktorin am Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Universität Zürich referierte über Neues auf dem Gebiet der Angststörungen und Depressionen bei Kinder und Jugendlichen. Sie führte aus, dass Depression mit einer Häufigkeit von 1-5% und Angststörungen mit einer Häufigkeit von 11.5% im Kindes- und Jugendalter relevante Krankheitsbilder sind. Für die Diagnose stehen Fragebogen zur Verfügung, welche aber nicht ausreichend sind. Für die Diagnosestellung müssen die Betroffenen auch in ihrem Umfeld begleitet und beobachtet werden.
Die drei Säulen der Therapie von Depression und Angststörungen im Kindes- und Jugendalter sind Edukation von Patient und Eltern, kognitive Verhaltenstherapie bzw. Psychotherapie und medikamentöse Therapie. Evident I besteht für die kognitive Verhaltenstherapie von Angststörungen. Bei der Depression wird die Evidenz für diese Methode mit I/II angegeben. Die kognitive Verhaltenstherapie ist bei Kinder und Jugendlichen die erste Wahl. Ist dies nicht ausreichend oder behindern die Symptome die Durchführung der Therapie, kommen SSRI zum Einsatz, wobei diese bei Angststörungen eine höhere Wirksamkeit zeigen als bei Depression. Trizyklische Antidepressiva und Benzodiazeptine werden nicht empfohlen.
Aus der Forschung für die Praxis Die epidemiologische Forschung und dessen Relevanz für die Praxis wurde von Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jules Angst, emeritierter Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich mit Daten einer repräsentativen Zürcher Studie eindrücklich beleuchtet. Basierend auf diesen Daten zeigt sich, dass Syndrome der Depression und Angst bezüglich Dauer stets ein Kontinuum bilden und dass sich kritische Untergruppen nach Dauer nicht bzgl. Stress, Arbeitsbehinderung, Temperament und Behandlungsraten und auch nicht in den SCL-90 R Scores unterscheiden. Eine Ausnahme davon sind chronische Fälle. Prof. Dr. Dr. Angst hält fest, dass basierend auf den Daten der Zürcher-Studie die diagnostischen Kriterien von zwei Wochen für Major Depression sowie 3/6 Monate für GAD nicht valide sind. Er postuliert daher, als diagnostische Kriterien 4 Tage für Depression und zwei Wochen für GAD einzuführen. Diese sollen mittels unabhängigen Studien validiert werden.
Es ist bekannt, dass nur ca. 50% (31-72%) aller Betroffenen eine offizielle Diagnose erhalten und davon ca. 36-50% behandelt werden. Daher empfiehlt Prof. Dr. Dr. Angst fundierte sub-diagnostische Syndrome einzuführen, um die Diagnose zu erleichtern. In Bezug auf die Praxis erläutert Prof. Dr. Dr. Angst die Relevanz dichotomer Entscheidungen, welche zwar für die Forschung ungeeignet sind, da biologische Variablen wie bspw. Molekulargenetik nicht miteinander korrelieren, aber für die therapeutische Entscheidung nützlich sind. Daher werden heutzutage für die Diagnose vermehrt kontinuierliche Variablen entwickelt und verwendet, wie bspw. Kognition, Entzündungs-Parameter oder Bildgebung. Praxisnahe Leitlinien Auf Praxisnähe zielte Prof. Dr. med. Erich Seifritz. Sein Vortrag informierte über die Geschichte und das praxisrelevante Wissen aus den Leitlinien DSM-5 und ICD-11. Im Fokus standen die Neuigkeiten im Bereich affektive Störungen.
Die wichtigste Änderung ist dabei die Aufteilung in zwei Kapitel: depressive und bipolare Störungen sowie in zwei Bereiche: Ausmass der Angstsymptomatik und klinische Dimension (Suizidalitäts-Skala). Im Vergleich zur vorigen Version, DSM- 4, sind neu prämenstruelles dysphorisches Syndrom, affektive Dysregulation (DMDD; disruptive mood dysregulation disorder) im Kindes- und Jugendalter und die persistierende Depressive Störung (Dysthymie) hinzugekommen. Änderungen ergaben sich bei der Diagnose Major Depression, in dem das Ausschlusskriterium „einfache Trauer“ eliminiert und die Schweregrade und psychotischen Symptome getrennt wurden. Die wichtigste Änderung bei Bipolaren Störungen ist, dass Bipolar I gemischte Episode entfällt und die Diagnose Bipolar hypomane / manische Episode nach antidepressiver Behandlung möglich ist.
Therapie in 10 Jahren
Der Trend und die zukünftige Therapie von Angst und Depressionen sind unter Berücksichtigung der hohen Zahlen an Neuerkrankungen und der stetig steigenden Kosten ein wichtiger Teil der Psychiatrie. Einen Ausblick auf die zukünftige Therapie von Angst und Depressionen in 10 Jahren gab Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. h. c. mult. Florian Holsboer, Direktor des Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Sein Blick in die Zukunft ergab, dass im Jahr 2024 die Medikamentenbehandlung auf Grundlage der individuellen Biosignatur “maßgeschneidert” sein wird. Man wird also davon wegkommen, die Depression als eine kollektive Normabweichung zu betrachten und sie mit dem Ansatz „onesize- fits-all“ zu behandeln. Stattdessen wird die Medizin personalisiert. Basis dafür ist die Tatsache, dass sich unter der Diagnose Depression zusammengefasste Patientenpopulationen hinsichtlich der krankheitsverursachenden Pathologie auch genetisch unterscheiden. Biomarker und Gentests werden uns in Zukunft die Aufteilung der Pathologie „Depression“ in Untergruppen mit einheitlicher Pathologie erlauben, für welche spezifische Medikamente entwickelt werden können.
Aber kann die Gesellschaft das bezahlen? Diese Frage beantwortete Prof. Holsboer mit einem klaren Ja. Denn die personalisierte Medizin ist bezüglich ihrer Kosten für die Medikamentenentwicklung wesentlich, bis zu 30%, günstiger als die Therapie mit Blockbusters.14.04.2014