Chronische Darmerkrankungen: Oft nicht oder zu lange nicht entdeckt
Einige Menschen mit chronisch entzündetem Darm warten jahrelang auf ihre Diagnose, auch wenn sie schon einige Monate nach Ausbruch der Krankheit medizinischen Rat einholen. Junge Betroffene tragen das höchste Risiko, dass ihre Krankheit lange nicht erkannt wird. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung der vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Schweizer IBD-Kohorten-Studie.
In den Industriestaaten (und überall sonst, wo Menschen den westlichen Lebensstil annehmen) sind chronisch entzündliche Darmerkrankungen auf dem Vormarsch.
Obwohl noch keine Umweltfaktoren eindeutig mit dem Ausbruch dieser Darmentzündungen in Zusammenhang gebracht werden konnten, mehren sich die Anzeichen, dass die grössere Hygiene etwas mit der Zunahme der Erkrankungen zu tun hat. «Die chronischen Entzündungen im Darm sind der Tribut, den wir für die Verbesserung unserer Lebensbedingungen zollen», sagt Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich.
Ausser Kontrolle geratene Abwehrreaktionen
In der Schweiz leiden rund 15‘000 Menschen an unterschiedlichen Formen des «Inflammatory Bowel Disease» (IBD) – etwa dem Morbus Crohn oder der Colitis ulcerosa. Bei IBD-Patienten ist die natürliche Barrierefunktion der Darmwand gestört, deshalb muss ihr Körper pausenlos Abwehrreaktionen aktivieren, die schliesslich ausser Kontrolle geraten. Die Kranken werden von anhaltendem, teils blutigem Durchfall, von Bauchschmerzen und Kraftlosigkeit geplagt. Trotzdem vergehen oft viele Jahre, bis ihnen die Diagnose gestellt und die Behandlung in Angriff genommen wird. Welche Patientenmerkmale mit dieser Verzögerung einhergehen, haben Rogler und Kollegen der Schweizer IBD-Kohorten-Studiengruppe in einem kürzlich erschienenen Beitrag (*) untersucht.
Hierzu analysierten sie bei 1591 Patienten die zeitlichen Abstände vom Auftreten der Symptome bis zum ersten Arztbesuch (Aufschub durch den Patienten) sowie vom Aufsuchen der Ärztin bis zur Diagnose der Krankheit (Aufschub durch den Arzt). Bei der Hälfte der Patienten wurde der Morbus Crohn innert neun Monaten festgestellt. Doch bei einem Viertel der Patienten vergingen mehr als zwei Jahre bis zur Diagnose, obwohl viele schon nach wenigen Monaten einen medizinischen Rat einholten.
Nachteile für Lebensqualität und Krankheitsverlauf
Übervertreten bei den Patienten mit verzögerter Diagnose sind vor allem junge Frauen und Männer unter 40 Jahren mit Entzündungen im Bereich des Dünndarms, die nur selten zu blutigem Durchfall führen. Bei jungen Leuten schätzten viele Ärzte offenbar die Krankheit zuerst falsch ein, weil die Symptome des Morbus Crohn denen eines Reizdarms sehr ähnlich seien, schreiben die Forschenden.
«Die Verzögerung wirkt sich nicht nur nachteilig auf die Lebensqualität der Betroffenen aus, sondern wahrscheinlich auch auf den Krankheitsverlauf», sagt Rogler. Verkürzte Wartezeiten erhoffen sich die Forschenden durch ein grösseres Bewusstsein seitens der Öffentlichkeit und der Haus- und Familienärzte, an die sich die meisten Patienten zuerst wendeten. Mit Vertretern der Hausärzte haben sich Rogler und Kollegen bereits getroffen, um über optimale Behandlungspfade und die Erstellung von Versorgungsrichtlinien zu diskutieren.
25.08.2011