Die neue Kinder Permanence hilft bei kleinen Notfällen
Husten, Schnupfen, Bauchschmerzen oder leichtes Fieber – solche Krankheitssymptome, von Ärzten als «Bagatell-Notfälle» bezeichnet, überfüllen seit jeher die Warteräume der Notfallstationen in Kinderspitälern. Die Kinder Permanence am Zürcher Hauptbahnhof möchte eine Alternative bieten.
Ist der Hausarzt nicht erreichbar, sehen viele Eltern bei Krankheitssymptomen keine andere Möglichkeit, als ihr Kind ins Spital zu bringen.
Sie nehmen lange Wartezeiten auf sich, um vom behandelnden Arzt oft nicht mehr als das Rezept für einen Hustensaft oder eine mehr oder weniger zufriedenstellende Erklärung zu erhalten. Das Bedürfnis nach Notfallpraxen, die sich ganz bewusst auf kleinere Notfälle spezialisieren, ist gross. Ein breiteres Angebot wäre sowohl im Sinne der Eltern, die den Symptomen ihrer Kinder oft ratlos gegenüber stehen, als auch im Sinne der Notfallärzte in Spitälern, die sich so auf dringendere Notfälle fokussieren können. Das Hauptziel solcher Notfallpraxen ist, rasch und effizient die Schmerzen des Kindes zu lindern und es in einem angenehmen Umfeld zu beruhigen.
Die Kinder Permanence soll nicht an ein Spital erinnern
Die am 1. November eröffnete, in der Schweiz einzigartige Kinder Permanence am geschäftigen Zürcher Bahnhofplatz verfolgt dieses zentrale Ziel offensichtlich. Im vierten Stock eines grossen Bürogebäudes wird jeder Besucher im elegant eingerichteten Empfangsbereich freundlich begrüsst. Die weite Fensterwand zwischen Empfang und Wartesaal eröffnet die Aussicht über den Zürcher Hauptbahnhof und den Zürichberg. Der Besucher merkt sofort, dass die Kinder Permanence mit Lage und Einrichtung eine möglichst spitalferne, gelassene Atmosphäre hervorrufen möchte.
Im Warteraum sitzen kurz nach Öffnungszeit um zwölf Uhr schon zwei Patienten mit ihren Müttern. Die Kinder, die auf ihren Arztbesuch warten, scheinen die Schmerzen fast schon vergessen zu haben, als sie die grosszügige Wandbemalung erblicken, die passend zum Aquarium in der Mitte des Raumes eine Unterwasserwelt mit dem Zeichentrickheld Nemo darstellt. Ein kleiner Junge, der mit seiner Mutter im Wartesaal sitzt, zeigt begeistert abwechselnd auf die lebendigen und auf die gemalten Fische und ruft immerzu: «Nemo!»
«Wandbild und Aquarium sind ganz eindeutig die Highlights für die Kinder», erzählt Michael Meier, Teilhaber und Projektleiter der Kinder Permanence. Sein Geschäftspartner und Chefpädiater Attila Molnar ergänzt: «Letzte Woche wollte ein unter 39 Grad hohes Fieber leidendes Kind nach seinem Arztbesuch nicht nach Hause, weil er die Fische im Aquarium beobachten wollte!» Für die Wandbemalung verantwortlich ist Molnars Cousine, eine ungarische Kinderbuchillustratorin, die sowohl den Warteraum als auch die Behandlungsräume mit Wandbildern verschönert hat.
Wie die Kinder Permanence entstand
Idee und Konzept der Kinder Permanence sind, genau wie die Wandverzierung, irgendwie «Familiensache», erzählt der St. Galler Arzt Molnar. «Vor zwei Jahren traf ich an der Geburtstagsparty meiner Schwester ihre Freunde Michael Meier und Anju Rupal. Beide fragten mich, warum ich keine eigene Arztpraxis eröffnen wolle. Da ich aber den Fokus meiner Karriere bewusst auf die Notfallbehandlung gelegt hatte, war die eigene Arztpraxis lange kein Thema. Die beiden schlugen dann vor, beides zu verbinden und eine Notfallpraxis zu entwickeln.»
Damit war der Grundstein für die Kinder Permanence gelegt. Der Mediziner Michael Meier bot Attila Molnar seine Unterstützung für das Fachärzteteam an und die Unternehmerin Anju Rupal kümmerte sich fortan um das Management und die Informationsarbeit für die privat finanzierte Notfallpraxis. «Innerhalb von zwei Jahren haben wir die Kinder Permanence in die Realität umgesetzt», erzählt Molnar stolz. Lediglich acht Wochen hätten sie für den Umbau der 300 Quadratmeter grossen Räumlichkeiten unmittelbar beim Zürcher Hauptbahnhof gebraucht.
«Mehr als ein Stethoskop brauchte ich nicht!»
Hat auch die Notfallpraxis ihre Kinderkrankheiten, ihre ersten Pannen? Pannen im eigentlichen Sinne gab es bisher noch keine, so Molnar. Allerdings räumt er ein, dass die Praxis nicht im bereits fertigen, «geschliffenen» Zustand eröffnet wurde. An der Webseite hapert es nach wie vor, der Fernseher im Wartezimmer wurde erst vor wenigen Tagen installiert und das sterile Weiss der Behandlungsräume und des langen Flurs werde erst in den kommenden Wochen mit Farbtupfern aufgepeppt. Der leitende Pädiater Molnar macht sich aber nicht viel aus den kleinen Startmängeln: «Mehr als ein Stethoskop und Patienten brauchte ich zu Beginn nicht!» Rückblickend sagt er: «Organisatorisch gibt es bei neuen Projekten immer tausend Dinge zu erledigen. So waren wir zu Beginn froh, wurden wir nicht mit Patienten überrannt.»
Momentan behandeln die Ärzte in der Kinder-Permanence im Durchschnitt acht Patienten pro Tag. An den Wochenenden erhöht sich der Schnitt auf über 20 junge Patienten im Alter von 0 bis 16 Jahren. Vier der sechs Behandlungsräume sind bisher nur spartanisch eingerichtet, ein Röntgenzimmer ist ebenfalls erst in Planung, da der effektive Nutzen einer solchen Investition noch unklar ist. «Wir sind mit den Ergebnissen im ersten Monat durchaus zufrieden. Jetzt hoffen wir auf Mund-zu-Mund-Propaganda, um unseren Bekanntheitsgrad zu steigern», so der Projektleiter Molnar, der vor der Instandsetzung der Kinder Permanence lange auf Intensivstationen, zuletzt am Lausanner Spital gearbeitet hatte.
Kinder Permanence: Eine Entlastung für das Kinderspital?
Rund 70 Prozent der Patienten, die bisher die Kinder Permanence aufsuchten, kamen wegen kleineren Notfällen in die Praxis: Husten, Schnupfen, andere Infekte. Zu den Alltäglichkeiten gehören aber auch kleinchirurgische Eingriffe, wie beispielsweise das Nähen von Wunden. Molnar musste auch schon einen Patienten mit der Ambulanz ins Kinderspital bringen lassen. «Solche Fälle sind aber in Notfallpraxen wie unsere eher die Ausnahme», erklärt er. «Junge Patienten im gravierenden Zustand werden von ihren Eltern immer einmal lieber ins Kinderspital gebracht als zu uns.»
Markus Malagoli, Direktor des Zürcher Kinderspitals, sagte vor einiger Zeit im Gespräch mit der Nachrichtenagentur sda, dass das «KiSpi» die Kinder Permanence keinesfalls als Konkurrenz ansehen würde. Sie könne sich sogar zu einer sinnvollen Ergänzung entwickeln. Attila Molnar findet, dass eine solche Zwischenbilanz erst nach mehreren Monaten gemacht werden könne. Noch könne er nicht mit genauen Zahlen beweisen, ob die Kinder Permanence eine Entlastung für das Kinderspital sei, das im letzten Jahr mehr «Bagatell-Notfälle» denn je verzeichnete.
«Wir nehmen uns für die Notfallpatienten genug Zeit»
Eltern fürchten sich oft, dass die Krankheit ihrer Kinder von den Ärzten unterschätzt und deren Ernst geschmälert wird. Ob eine Behandlung beim Notfallarzt, der die Krankengeschichte nicht kennt, den Hausarzt bei einem dringenden Zwischenfall überhaupt ersetzen könne? Molnar ist davon überzeugt. Er und die Pädiater seiner Praxis nehmen sich genug Zeit für die Patienten, um sich das nötige Wissen für die Notfallbehandlung anzueignen. Natürlich brauche es bei Grunderkrankungen ein tiefergehendes Begutachten, als bei einem simplen Schnupfen, erläutert der Arzt.
In einem Artikel des Tages Anzeigers vom vergangenen April wurde erwähnt, dass zu Projektbeginn die Einführung einer Telefon- und Onlineberatung zur Debatte stand. Molnar, der sich für eine achtsame Behandlung seiner Patienten einsetzt, möchte diese Aussage präzisieren. «Eine reine Telefon- oder Onlineberatung fände ich bei uns heikel», so der Pädiater. Bis jetzt hätten sie keine ausgebildeten und trainierten Fachkräfte für ein solches Angebot, wie sie zum Beispiel die telefonische SWICA-Gesundheitsberatung hat
«Für solche Beratungen muss man nämlich spezifisch ausgebildet sein. Gewisse Symptome können besonders bei Kindern von einem harmlosen Fieber bis zu einer Hirnhautentzündung auf verschiedene Krankheiten deuten.» Telefonberatung sei nur sinnvoll bei bereits bekannten Patienten, so Molnar. Die Eltern werden in diesem Fall auch über dieses Angebot informiert und zur Nutzung ermutigt – sonst nicht.
Eine halbe Stunde nach Öffnungszeit machen schon einige Kinder mehr vor dem Aquarium grosse Augen, Mütter und Väter versuchen ihre Sprösslinge mit Spielsachen und Bilderbüchern vom Unwohlsein abzulenken. Bei dem überschaubaren Ärzteteam der Kinder Permanence könnte die Vermeidung von langen Wartezeiten zu einer echten Herausforderung werden. «Das Ziel ist, die Wartezeiten bei höchstens 30 Minuten zu halten.
Eltern können aber auch vorher anrufen und sich für ihr Kind einen zeitnahen Termin geben lassen, bevor sie herkommen und warten», erklärt Molnar. Sollte die Kinder Permanence den sich abzeichnenden Erfolg langfristig erreichen, wären für die Projektleitung auch längere Öffnungszeiten vorstellbar. «In einer zweiten Phase könnte die Kinder Permanence bereits morgens öffnen und erst um 22 Uhr schliessen. Diese Entscheidung hängt jedoch gänzlich von der Nachfrage ab.»
Linkemepfehlung: www.kinderpermanence.ch
20.12.2011