Gifte in der Arktis: Gefahr für die menschliche Gesundheit
Arktische Säuger, welche am Ende der Nahrungskette stehen, tragen die grössten Mengen an schwer abbaubaren Umweltgiften. Sie reflektieren damit sozusagen den Gesundheitszustand des marinen Ökosystems.
Orcas, auch Killerwale genannt, haben den Eisbären den Rang der am stärksten kontaminierten Säuger der Arktis abgerungen. Forscherinnen des Norwegischen Polar-Instituts haben Gewebeproben von Orcas genommen und analysiert. Nachweisen konnten sie eine Reihe gefährlicher chemischer Substanzen, die alle von Menschenhand stammen. Darunter waren etwa PCB, Pestizide und Flammschutzmittel. Sämtliche Chemikalien spielen in der Industrie eine grosse Rolle.
Persistant Organic Pollutants (POPs)
Erst im Juli 2005 hatten die Wissenschaftlerinnen in Untersuchungen von Möwen, arktischen Füchsen, Eisbären in Norwegen, den Färöer-Inseln und in Spitzbergen eine Reihe von hochtoxischen langlebigen organischen Giften, so genannte Persistant Organic Pollutants (POPs), gefunden. In einigen nordischen Regionen stehen Möweneier auch auf dem Speiseplan der dortigen Bewohner. Die Dioxin- und PCB-Werte dieser Eier waren derart hoch, dass Kinder, junge Frauen, Schwangere und stillende Mütter auf diese Nahrungsmittel verzichten sollten. Auch Erwachsene sollten Möweneier von ihrem Speiseplan nehmen, schrieben die Wissenschaftlerinnen im Journal of Environmental Monitoring.
Sorgenkind Flammschutzmittel
Tiere, die am Ende der Nahrungskette stehen, tragen offensichtlich die grössten Mengen an Chemikalien in sich. Sie reflektieren sozusagen den Gesundheitszustand des marinen Ökosystems. Viele der gefundenen Chemikalien sind weltweit bereits lange verboten. Die besondere Sorge gilt daher den Flammschutz-Substanzen, die zum Teil heute noch hergestellt werden. Zu den am häufigsten eingesetzten Chemikalien zählen hierbei die polybromierten Biphenyle (PBB), polybromierte Diphenylether (PBDE), Tetrabrombisphenol-A (TBBA), Chlorparaffine und Antimontrioxid. Die Umweltorganisation WWF hat in einem ersten Statement die Befürchtung geäussert, dass die Arktis zur Mülltonne der Welt geworden sei. Es sei dringend notwendig die EU-Chemie-Richtlinie REACH zu verabschieden und nicht auf Druck der chemischen Industrie die strengen Bestimmungen zu verwässern.
EU-Richtlinie REACH
Nach zwei Jahren Streit haben sich die EU-Staaten auf die künftigen Regeln zur Chemikaliensicherheit geeinigt. Das Gesetz mit dem Arbeitsnamen REACH sieht vor, gut 30’000 Altchemikalien auf ihre Gefährlichkeit zu testen.
Milliardenkosten kritisiert
In der europäischen Chemiebranche stiess die Verordnung wegen Kosten in Milliardenhöhe auf Widerstand. Umweltschützer bemängeln hingegen, dass die Verordnung bei den Beratungen in Kommission, Parlament und Ministerrat weitgehend entschärft worden sei.
Neue Verpflichtung für die Industrie
Konkret soll die Industrie die von ihr produzierten oder verarbeiteten Stoffe eigenhändig auf mögliche Gefahren testen und bei einer neuen EU-Chemieagentur mit Sitz in Helsinki registrieren lassen. Nach dem Willen des Europaparlaments sollen Unternehmen ihre Daten austauschen, um Tests zu erleichtern und billiger zu machen. Dadurch soll nicht zuletzt die Zahl der Tierversuche möglichst niedrig gehalten werden.
Gemäss REACH sollen besonders gefährliche Stoffe, die etwa Krebs erzeugen, die Erbsubstanz verändern oder die Fruchtbarkeit reduzieren können, verboten werden. Wissenschaftler und Ärzte versprechen sich Hilfe beim Kampf gegen Krankheiten wie Krebs, Allergien oder Asthma.
Konsumenten sollen dank REACH besser über chemische Substanzen in Gütern des täglichen Bedarfs informiert werden. Auf den Etiketten etwa von Teppichböden, Farben und Lacken oder Textilien soll demnach vermerkt werden, welche Chemikalien diese enthalten.
Situation in der Schweiz
Ob die Schweiz die EU-Regelungen übernehmen wird, ist noch unklar. Eine Harmonisierung brächte zwar einfachere Verfahren und einen Abbau der Exporthürden. Doch die Anpassungskosten wären "beträchtlich", wie eine im November veröffentlichte Studie zeigte. In der Verwaltung wurde davon ausgegangen, dass die Vorteile überwiegen, von Industrieseite gab man sich eher zurückhaltend.
11.01.2006