Harnweg-Infektionen bei der Frau
Frauen leiden häufig an wiederkehrenden Harnwegsinfektionen. Der folgende Beitrag befasst sich mit aktuellen Erkenntnissen zu Ursachen, Präventionsmassnahmen und Behandlungsmöglichkeiten.
Der folgende Beitrag stammt aus der Ärztezeitschrift "Medizinspektrum" und wurde für die Leser von Sprechzimmer.ch entsprechend angepasst.
Einleitung
Harnwegsinfekte (HWI) bei der Frau sind aufgrund der anatomischen Situation mit kurzer Harnröhre und geringer Distanz zu Vagina und Anus häufig. Jede zweite Frau erleidet in ihrem Leben mindestens einen symptomatischen HWI. Bei den über 60-jährigen Frauen wird die Häufigkeit sich wiederholender HWI auf 10 bis 15% geschätzt. HWI vermindern nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen. Allein in den USA verursachen sie 8 Millionen Konsultationen jährlich mit Folgekosten von 1.6 Milliarden US-Dollar. Ohne adäquate Behandlung besteht die Gefahr eines aufsteigenden Infektes. Der floride HWI kann aber unbehandelt in 24% selbstlimitierend sein.
Definitionen
- Akuter, einfacher, unkomplizierter HWI: Ohne Zeichen für eine Infektion des oberen Harntraktes wie Fieber, Schüttelfrost oder Flankenschmerzen und ohne Risikofaktoren (Schwangerschaft, Diabetes…).
- Komplizierter HWI: Bei Patientinnen mit anatomischen, funktionellen oder metabolischen Pathologien (z.B. erhöhter Blutdruck, Übergewicht, hohes Alter, Schwangerschaft, Zuckerkrankheit, Multiple Sklerose).
- Relapse: Rezidivierender HWI (Rückfall) infolge eines bestehenden Herdes oder Infektes.
- Rezidivierender HWI: Symptomatischer HWI nach klinischer Heilung eines vorhergegangenen (meist, jedoch nicht zwingend) behandelten HWIs. Mindestens zwei HWI während 6 Monaten oder drei während 12 Monaten.
Streng genommen: Reinfektion durch einen anderen Erreger. Im klinischen Alltag ist ein Rezidiv als Relapse definiert, wenn es durch denselben Keim innerhalb von 2 Wochen nach Therapie verursacht wird und als Reinfektion, wenn es nach 2 Wochen oder bei Vorhandensein einer negativen Urinkultur nach Behandlung auftritt.
Ätiologie
Die Anfälligkeit auf HWI hängt von genetischen, biologischen und anatomischen Faktoren sowie von veränderbaren Verhaltensfaktoren ab:
Tabelle 1: Faktoren, die die Anfälligkeit auf Harnwegsinfekte erhöhen
(adaptiert nach: Foxman B. Epidemiology of urinary tract infections: incidence, morbidity, and economic costs. Am J Med 2002; 113 Suppl 1A:5S-13S)
Genetisch | Biologisch | Verhalten | Andere |
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Andere Risikofaktoren
Zunehmendes Alter, Geschlechtsverkehr (60-fach erhöhtes relatives Risiko für HWI innert 48 Stunden), Spermizide, Schwangerschaften und Diabetes mellitus sind Risikofaktoren für eine asymptomatische Bakteriurie. Kürzlich eingesetzte Antibiotika können die Vaginalflora negativ beeinflussen und sind mit einem erhöhten Risiko für HWI assoziiert. E. coli ist für 80% der unkomplizierten HWI verantwortlich. Zunehmend sind die Vancomycin-resistenten Enterokokken.
Rezidivierende HWI können gelegentlich aufgrund eines persistierenden Herdes oder Infektes auftreten, sind aber meist durch eine Reinfektion verursacht. Meist finden sich keine funktionellen oder anatomischen Anomalien.
Risikofaktoren für wiederkehrende HWI bei der prämenopausalen Frau:
- Häufigkeit von Geschlechtsverkehr
- Erstmaliger HWI im Alter von oder vor 15 Jahren
- HWI bei der Mutter
- neuer Partner
- Spermizidgebrauch
- Tiefer Östrogenspiegel
- Harninkontinenz
- HWI vor der Menopause
- Scheidentrockenheit
Diagnostik
Die typische Anamnese mit Dysurie (erschwertes Wasserlassen) oder Algurie (schmerzhaftes Wasserlassen), Pollakisurie (häufiger Harndrang mit wenig Harnabgang) und starkem Harndrang suggeriert einen akuten HWI. Eine weiterführende Diagnostik mit Urinkultur (Resistenzprüfung) ist meist erst nach fehlendem Ansprechen auf eine empirische Therapie, sicher aber bei Hinweis auf eine Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung) oder bei Risikofaktoren für einen komplizierten HWI notwendig.
Bei rezidivierenden HWI ist nebst Anamnese (Hygiene, Geschlechtsverkehr, Spermizide) die gynäkologische Untersuchung, die Restharnbestimmung und ev. auch eine Zystoskopie (Blasenspiegelung zum Auffinden von Fremdkörpern, Tumoren, Blasensteinen sowie Trigonumleukoplakien als Hinweis für einen chronischen Infekt) indiziert. Gegebenenfalls müssen die oberen Harnwege untersucht werden.
Antibiotika-Resistenz
Kenntnisse über die lokalen Resistenzen gegenüber Antibiotika sind von Bedeutung. Als spezifische Risikofaktoren für eine Resistenz gegenüber gewissen Antibiotika wurden Diabetes mellitus, kürzliche Hospitalisation und aktuelle oder kürzliche Einnahme von Antibiotika identifiziert.
Therapie - Zusammenfassung
Behandelt wird primär mit Antibiotika. Ein erneuter HWI innerhalb der ersten Woche nach Behandlung weist auf einen möglichen Rückfall (Relapse) hin. Nach vorgängig entnommener Urinkultur (Resistenzprüfung) wird mit Fluoroquinolon-Antibiotika für 7 Tage behandelt.
Spätere Rezidive können mit einer Kurzzeittherapie ähnlich wie bei den unkomplizierten, sporadischen HWI behandelt werden. Nierenbeckenentzündungen oder schwere Formen komplizierter HWI erfordern eine Hospitalisation.
Die Säulen der Prävention (Vorbeugung)
Verhalten
Sexuell aktive Frauen mit rezidivierenden HWI sollen nach einer möglichen Assoziation zwischen Verhütung (Spermizide, Diaphragma) und HWI gefragt werden. Hier wäre nach Absetzen der Spermizide eine Risikoreduktion zu erwarten. Sofortiges Urinieren nach Geschlechtsverkehr oder grosszügige Trinkmengen sind zwar nicht mittels fallkontrollierter Studien belegt, scheinen aber hilfreich zu sein:
Verhaltensempfehlungen zur Vorbeugung von wiederkehrenden Harnwegsinfektionen
Massnahmen |
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Ausreichende Flüssigkeitszufuhr (1 1/2 bis 2 Liter pro Tag, resp. auf hellen, klaren Urin achten) |
Urinieren nach Geschlechtsverkehr, innerhalb einer Stunde |
Vermeiden von Spermiziden zur Verhütung |
Korrekte Analtoilette |
Keine Desinfektionsmittel und Scheiden-Spülungen |
Antibiotika
Neuere Studien zeigen, dass die Prophylaxe mit Antibiotika vor wiederkehrenden Harnwegsinfektionen sich als hoch wirksam erwiesen hat.
Die kontinuierliche Prophylaxe reduziert im Vergleich zu Placebo die Rezidivrate um 95%. Es wird häufig eine 6-monatige Prophylaxe mit abendlicher Antibiotikaeinnahme empfohlen. Auch die zwei bis fünfjährige Prophylaxe wird als effektiv und gut toleriert beschrieben. Stehen die HWI in Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr, so ist die postkoitale (nach dem Koiutus) Prophylaxe effizienter und besser akzeptiert.
Preiselbeersaft
Preiselbeersaft wird seit Jahrzehnten als wirksames Hausmittel gepriesen und neuere Studien weisen auf einen protektiven Effekt. Cranberry verhindert die Anbindung von E. coli und anderer gramnegativer Uropathogene an das Uroepithel. Placebokontrollierte randomisierte Studien zeigten eine signifikante Verminderung von Bakteriurie, Pyurie oder HWI bei regelmässiger Preiselbeersafteinnahme. Die tägliche Einnahme von 300 ml Cranberrysaft oder zwei bis drei Esslöffel Preiselbeerextrakt kann versucht werden.
Östrogene
Bei postmenopausalen Frauen senkt Östrogen intravaginal verabreicht das Risiko der HWI von 5.9 auf 0.5 pro Jahre und normalisiert bei 61% die Vaginalflora.
Immuntherapie
Eine prospektiv randomisierte Multizenterstudie verglich ein E. coli-Extrakt mit Placebo bei rezidivierenden HWI: die immuntherapierten Patientinnen erlitten statistisch signifikant weniger Rezidive während der zwölfmonatigen Studie mit drei Behandlungsmonaten und drei zehntägigen Boostern (Reduktion um 34%). Ganzzell-Impfungen aus hitzegetöteter uropathogenen Stämmen führten bisher nur zu Teilerfolgen.
Akupunktur
Während einer sechsmonatigen kontrollierten dreiarmigen klinischen Studie waren 85% der Patientinnen in der Akupunktur-Gruppe rezidivfrei, was verglichen mit 58% in der fingierten Akupunktur-Gruppe und 36% in der unbehandelten Kontrollgruppe statistisch signifikant war.
Fazit für die Praxis
Rezidivierende HWI sollen mittels Urinkultur mit Resistenzprüfung dokumentiert werden. Drei kombinierbare Therapieprinzipien stehen im Vordergrund mit der Antibiotikatherapie als Hauptpfeiler, einer Östrogensubstitution bei postmenopausalen Patientinnen mit Genitalatrophie und Verhaltensänderungen (sexuelle Gewohnheiten, Verhütung). Daneben stehen alternative Behandlungsmöglichkeiten (Cranberrysaft, Akupunktur, Immuntherapie) zur Verfügung.
Dr. med. David Scheiner, Oberarzt, Departement Frauenheilkunde, Klinik für Gynäkologie, Zürich
Referenzen
Bitte beim Autor einholen.
08.06.2006