Herz und Psyche – ein untrennbares Paar
Längst hat die Wissenschaft das Herz seiner alten Bedeutung als «Sitz der Seele» enthoben. In jüngster Zeit entdeckt die Herzmedizin dafür zunehmend den wechselweisen Einfluss von Herz und Psyche. Damit lassen sich nachweislich die Aussichten Herzkranker auf Erholung verbessern.
Kann unser Herz nur im Sprachgebrauch vor Freude hüpfen oder vor Kummer gebrochen sein? Oder auch im medizinischen Sinn?
Zu letzterer Antwort neigt die noch junge medizinische Disziplin «Psychokardiologe» immer stärker. Sie erkennt, dass der unermüdliche Muskel in unserer Brust wesentlich von unserem psychischen Zustand beeinflusst wird – und umgekehrt. Eine schwere psychische Belastung (Negativstress) über längere Zeit gilt heute ebenso als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Krankheiten wie Rauchen, ungünstige Cholesterinwerte oder hoher Blutdruck. Ein Herzinfarkt, eine Herzinsuffizienz oder eine grosse Herzoperation (Bypass) können ihrerseits Angststörungen und Depressionen auslösen.
Stressreaktionen ausschalten
Werden die psychischen Störungen nicht angesprochen und behandelt, verschlechtern sich die Heilungs- und Erholungsaussichten: Patienten mit depressiven Symptomen nach einem kardialen Ereignis haben ein erhöhtes Risiko, in näherer Zukunft einen erneuten Herzinfarkt zu erleiden. Dies, weil die psychische Belastung körperliche Stressvorgänge in Gang setzt, erläutert der Kardiologe Prof. Kurt Laederach, Spezialist für Psychosomatik und Psychosoziale Medizin am Berner Inselspital: «Puls und Blutdruck werden dauerhaft erhöht, Atmung und Stoffwechsel intensiviert. Besonders stark gefährdet wird die Gesundheit betroffener Patienten durch die depressionsbedingte schlechte ‘Compliance‘. Das heisst, dass ihnen die Motivation fehlt, ihren Lebensstil zu ändern – sich also häufiger körperlich zu bewegen, auf das Rauchen zu verzichten und gesünder zu essen als vorher. Es fällt ihnen auch schwerer, Medikamente regelmässig zu nehmen oder Arzttermine einzuhalten.» Wird die Depression aber behandelt, verbessern sich mindestens das subjektive Wohlbefinden und die Lebensqualität. Prof. Laederach: «Es gibt zudem Hinweise darauf, dass behandelte Patienten mit Depression und Herzinsuffizienz weniger Spitaleintritte und Notfalltherapien benötigen.»
Auch die Angehörigen von Betroffenen sind oft verunsichert und haben Angst: um die Patientin oder den Patienten, aber auch vor plötzlich veränderten Zukunftsaussichten. Ihnen kann es helfen, sich direkt durch die behandelnde Ärztin oder den Arzt darüber informieren zu lassen, wann sie den Patienten besser schonen, wann fordern. Sie lernen zudem, Verhaltensweisen wie Passivität oder Stimmungsschwankungen besser einordnen, die ihnen den Partner oder die Partnerin seit der Erkrankung vielleicht fremd erscheinen lassen.
Wenn die Ärzte nichts Körperliches finden
Einige Menschen werden wiederholt von Anzeichen einer möglichen Herzkrankheit geplagt wie Attacken mit rasendem Puls, erhöhtem Blutdruck, Schwindel, Luftnot, Schweissausbrüchen und Herzschmerzen, gepaart mit Angst – ohne dass diesen Symptomen eine körperliche Krankheit zugrunde liegt. Ärzte bezeichnen die Beschwerden dann als funktionelle kardiovaskuläre Störung, auch als «Herzangst-Syndrom» oder «Herzneurose». Betroffenen können Übungen zu Körperwahrnehmung, kontrolliertem Umgang mit der Angst und besserem Selbstbewusstsein helfen. Damit lernen sie zu vermeiden, dass sich die körperlichen Anzeichen und der psychische Stress gegenseitig bis zur Panik hochschaukeln.
29.05.2012