Herzinfarkt: Bei älteren Menschen EKG als Warnsystem?
Menschen über 70 können auch ohne verdächtige Symptome Herzattacken erleiden. Als einfaches Frühwarnsystem könnte sich das altbewährte Elektrokardiogramm eignen. Dies haben Forschende aus Bern, Lausanne und San Francisco herausgefunden.
Das bedeutet, dass der Patient gefährdet ist, künftig einen Herzinfarkt zu erleiden, auch wenn er zu keiner der üblichen Risikogruppen gehört und keine der typischen Symptome wie Brustschmerz, Angstattacken oder Schweissausbrüche verspürt.
Dies haben Forschende des Inselspitals, Universitätsspital Bern, der Policlinique Médicale Universitaire von Lausanne und der University of California San Francisco in einer Langzeitstudie mit fast 2200 gesunden Senioren herausgefunden. Die Studie ist am 11. April in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift JAMA veröffentlicht worden.
2191 Probanden untersucht
Unter der Leitung von Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Chefarzt an der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin des Inselspitals Bern, untersuchten Nationalfonds-Stipendiat Reto Auer und seine Forschungskollegen in Lausanne und San Francisco die EKGs, die Prognose und den aktuellen Gesundheitszustand von 2191 gesunden Erwachsenen im Alter von 70 bis 79 Jahren.
Dabei wurden bei den Probanden mit ungewöhnlichen EKG-Werten innerhalb von zehn Jahren deutlich mehr Herzattacken festgestellt als bei den anderen Studienteilnehmenden. Dieser Befund blieb auch bestehen, als die Forscher alle anderen bekannten Herzinfarkt-Risikofaktoren mit berücksichtigten.
Unter den lebensbedrohlichen Krankheiten fordern Herzerkrankungen heute noch am meisten Todesopfer. Um festzustellen, ob eine erhöhte Gefährdung für einen Herzinfarkt vorliegt, prüfen Ärzte normalerweise die Risikofaktoren hoher Blutdruck, Diabetes, Rauchen und hohe Cholesterinwerte im Blut. Das EKG dient hingegen eher der Diagnose von Herzrhythmusstörungen oder eines akuten Herzinfarktes. Für Routine-Vorsorgeuntersuchungen bei gesunden Menschen war es bisher nicht empfohlen.
Uneinige Fachleute
Der Nutzen der EKG-Vorsorgeuntersuchung war bisher noch umstritten:
- Die herzmedizinische Fachgesellschaft American Heart Association (AHA) empfiehlt die EKG-Untersuchung bei Erwachsenen mit erhöhtem Blutdruck oder Diabetes. Ziel: abschätzen, ob ein Krankheitsrisiko bei Herzkranzgefässen und Herz vorliegt. Bei Erwachsenen, deren Gefährdung als niedrig eingeschätzt wird, zieht die AHA eine EKG-Untersuchung zumindest in Betracht.
- Die präventionsmedizinische Fachgesellschaft U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF) hat sich hingegen weder für noch gegen ein Routine-EKG bei potentiell gefährdeten Erwachsenen ausgesprochen. Grund: Die Beweise reichen ihr noch nicht aus. Bei Erwachsenen mit tiefem Risiko empfiehlt die USPSTF bereits heute den Verzicht aufs EKG.
Fakt ist: Eine Voraussage eines Herzinfarktes ist bei älteren Erwachsenen weniger zuverlässig als bei jüngeren Menschen, auch wenn bedeutende Risikofaktoren vorhanden sind. Bevor das EKG routinemässig eingesetzt wird, braucht es deshalb laut Prof. Nicolas Rodondi weitere Studien. Erst dann kann entschieden werden, ob EKG-Untersuchungen dem Arzt beim Verordnen von Vorsorge-Medikamenten wie Statine und Aspirin helfen und damit den Patienten vor einem Herzinfarkt schützen.
11.04.2012