Hirnforschung: Schlaf reduziert Interaktion zwischen Hirnarealen
Wissenschaftler aus Frankfurt korrigieren jahrelange Fehlannahme der Hirnforschung Ein Forschungsprojekt hat wichtige Erkenntnisse über die Auswirkungen von Schlaf auf die funktionelle Architektur des Gehirns gewonnen. Die Ergebnisse könnten die Neuroforschungspraxis grundlegend beeinflussen.
Die Studie einer Forschergruppe der Universitätsklinik Frankfurt belegt, dass sich die Kommunikation zwischen den verschiedenen Hirnarealen ändert, wenn man einschläft. Diese Erkenntnis stellt die aktuell übliche Praxis von Hirnuntersuchungen im Ruhezustand in Frage. Dabei wird die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) dazu genutzt, die Arbeitsweise des Gehirns von Patienten mit der von gesunden Kontrollpersonen zu vergleichen. Bisher wurden die Unterschiede zwischen diesen Gruppen als mögliche Indikatoren einer Erkrankung interpretiert.
Allerdings schlafen Menschen in der Regel innerhalb weniger Minuten ein, wenn sie in einem Magnetresonanztomografen untersucht werden.
Die neuen Forschungserkenntnisse zeigen, dass auch der Schlaf- oder Wachzustand bereits für Differenzen der Hirnfunktion verantwortlich sein kann. „Die Ergebnisse werfen ein ganz neues Licht auf die bestehenden Hirnuntersuchungen im Ruhezustand mithilfe der fMRT“, erläutern die verantwortlichen Forscher Enzo Tagliazucchi von der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Frankfurt und PD Dr. Helmut Laufs, inzwischen tätig an der Kieler Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Relevant sind diese Erkenntnisse für die Forschung zu zahlreichen Erkrankungen, wie zum Beispiel Epilepsie, (Reorganisation nach) Schlaganfall, Multiple Sklerose, Alzheimer-Demenz oder Schizophrenie.
Schlaf reduziert Interaktion zwischen Hirnarealen
PD Dr. Laufs und Herr Tagliazucchi arbeiten gemeinsam in einem Projekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (Förderung 01 EV 0703) und dem LOEWE-Schwerpunkt Neuronale Koordination Forschungsschwerpunkt Frankfurt (NeFF) finanziert wird. Im Brain Imaging Center Frankfurt haben die beiden Neurowissenschaftler 71 Probanden parallel mit Hirnstrommessung und fMRT untersucht. Die Hirnstrommessung mittels Elektroenzephalographie (EEG) stellt den graduellen Wach- oder Schlafzustand fest. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Unterschiede zwischen Patienten und der Kontrollgruppe physiologisch und durch den Wachheitszustand verursacht sein können und nicht notwendigerweise durch pathophysiologische, d.h. krankheitsbedingte Differenzen. Beispielsweise können Patienten, die Müdigkeit verursachende Medikamente nehmen, leichter einschlafen als gesunde Kontrollpersonen, und dadurch wird das Ergebnis verzerrt.
Bestehende Forschung muss neu bewertet werden
Mit den Ergebnissen konnten die Forscher einen enzyklopädischen Atlas der funktionellen Hirnstruktur im Ruhezustand erstellen, der zwischen Wachzustand, leichtem und tiefem Schlaf differenziert. Sie haben herausgefunden, dass bei leichtem Schlaf die Kommunikation zwischen den inneren, subkortikalen, und den äusseren, kortikalen, Gehirnarealen vermindert wird. Bei tiefem Schlaf ist sogar die Interaktion der äusseren Areale untereinander eingeschränkt.
Auf dieser Grundlage haben die Wissenschaftler ein Kategorisierungssystem für Schlafzustände entwickelt. Dabei handelt es sich um einen Ansatz, dank dessen man in bereits bestehenden Daten aus fMRT-Untersuchungen im Ruhezustand erkennen kann, ob die Probanden bei der Untersuchung wach waren oder geschlafen haben. Diese Methode haben die Wissenschaftler auf 1147 Datensätze angewendet, die im Internet verfügbar sind. Auch für diese Daten konnten die Forscher bestätigen, dass zahlreiche Probanden während der MRT-Untersuchung rasch eingeschlafen waren: Ein Drittel ist nicht länger als drei Minuten wach geblieben. „Aufgrund der spezifischen funktionalen Veränderungen im Gehirn, die sich durch den Übergang vom Wach- in den Schlafzustand ergeben, müssen künftige Studien diesen Wechsel berücksichtigen“, so PD Dr. Laufs‘ Fazit. „Ausserdem muss die bestehende Literatur zu diesem Thema auf Basis unserer Erkenntnisse in einem neuen Licht betrachtet werden“, ergänzt Herr Tagliazucchi.
13.05.2014