Komplementärmedizin: ELKG verstösst gegen Geschäftsordnung
Die eidgenössische Leistungskommission ELGK gibt dem Gesundheitsminister eine Empfehlung ab, ob die ärztliche Komplementärmedizin wieder von der Grundversicherung vergütet werden soll und ist selber aber nicht umstritten.
Laut Parlamentarische Gruppe Komplementärmedizin verstösst die eidgenössische Leistungskommission ELGK mehrfach gegen die eigene Geschäftsordnung: befangene Krankenkassenvertreter treten nicht in den Ausstand, obwohl die Krankenkassen mit Komplementärmedizin in der Zusatzversicherung grosse Gewinne machen.
Auch werden keine externen Experten beigezogen, obwohl dies die Geschäftsordnung explizit vorschreibt. Das BAG hat im neuen "Handbuch" zwar verpflichtende Kriterien zur Einreichung der Anträge ärztlicher Komplementärmedizin, jedoch keine Kriterien für die objektive, sachliche und nachvollziehbare Prüfung der Anträge festgelegt. Damit drohen die Anträge erneut einem Willkür-Entscheid zum Opfer zu fallen. Die parlamentarische Gruppe Komplementärmedizin fordert, dass sich der Gesundheitsminister von einem eigenen, unabhängigen Expertengremium beraten lässt.
Eine Leistung muss wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein, damit sie der Gesundheitsminister in die Grundversicherung aufnimmt (Art. 32 KVG). Das Bundesgericht hat spezifiziert (BGE 123 V 53), wie der Nachweis zu erbringen ist:
- Die Wirksamkeit muss wissenschaftlich, nicht aber durch Doppelblind-Studien der Schulmedizin nachgewiesen werden.
- Die Wirkung, nicht der Wirkmechanismus ist darzulegen.
- Die Komplementärmedizin muss vorrangig den Nachweis der Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen („effectiveness“) darlegen.
Die fünf Ärztegesellschaften der Komplementärmedizin haben dem BAG im April 2010 Anträge zur definitiven Aufnahme von Anthroposophischer Medizin, Klassischer Homöopathie, Neuraltherapie, Pflanzenheilkunde und Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) in die Grundversicherung eingereicht.
Der Präsident der Union komplementärmedizinischer Ärztegesellschaften, Dr. med. Hansueli Albonico, hat gegenüber den Medien dargelegt, dass alle Fachgesellschaften die Vorgaben von Artikel 32 KVG und der Rechtsprechung des Bundesgerichts erfüllen: „Der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit ist einwandfrei erbracht“, stellt der Chefarzt Interdisziplinäre Komplementärmedizin am Regionalspital Emmental fest.
Entgegen den schriftlichen Aussagen des Bundesrates1 hat das BAG keine spezifischen Kriterien für die Beurteilung von ärztlicher Komplementärmedizin festgelegt. Auch die Leistungskommission erhält keine Hilfestellung: „Die ELGK hat keine Vorgaben bezüglich der Prüfung von komplexen Leistungen erhalten“, schreibt das BAG dem Dachverband Komplementärmedizin am 8. November 2010. „Kennen die Mitglieder der Leistungskommission die gesetzlichen Vorgaben und die Rechtsprechung des Bundesgerichts bezüglich der Komplementärmedizin? Wie wollen sie ohne konkrete Vorgaben objektive, sachliche und nachvollziehbare Empfehlungen abgeben?“, fragt sich Nationalrätin Yvonne Gilli (Grüne SG).
Ausserdem wurde festgestellt, dass die Leistungskommission mehrfach gegen die eigene Geschäftsordnung vom 10. Februar 2009 verstösst:
- Artikel 3 (Beizug von Expertinnen und Experten) besagt, dass Experten zu den Beratungen beigezogen werden, wenn die Anträge Methoden betreffen, die nicht in der Kommission vertreten sind. Die Experten haben mit beratender Stimme an den Sitzungen teilzunehmen. Obwohl mit Dr. Bruno Ferroni einzig die klassische Homöopathie in der ELGK vertreten ist, hat die Kommission darauf verzichtet, externe Experten an die Sitzungen einzuladen.
- Artikel 6 (Schweigepflicht, Ausstandspflicht) schreibt vor, dass ein Mitglied in den Ausstand zu treten hat, wenn es „eine Partei vertritt… oder aus anderen Gründen befangen sein könnte...“ Fünf Mitglieder der Leistungskommission sind direkt mit einer Krankenkasse oder santésuisse verbunden. Nationalrätin Yvonne Gilli zweifelt, ob sie neutral urteilen, da die Krankenkassen sehr viel Geld mit Komplementärmedizin in den Zusatzversicherungen verdienen. Dem Vernehmen nach ist an der Sitzung vom 9. September 2010 kein Mitglied in den Ausstand getreten, obwohl dies die Geschäftsordnung bei mehreren Personen erfordert.
Ständerat Rolf Büttiker (FDP SO) verlangt im Namen der parlamentarischen Gruppe Komplementärmedizin, dass der Gesundheitsminister unabhängige Experten einsetzt, um die Anträge sachlich und neutral beurteilen zu können. Das Volk hat mit der Annahme des Verfassungsartikels 118a dem Gesundheitsminister den Auftrag erteilt, die Komplementärmedizin in die Grundversicherung aufzunehmen.
„Der Verfassungsauftrag, die gesetzlichen Vorgaben und die Rechtsprechung des Bundesgerichts sind bei der Prüfung der Anträge zu berücksichtigen“, führte der Solothurner Ständerat an einer Medienkonferenz aus. „Der Ermessensspielraum beim Entscheid ist sehr begrenzt“, führte Büttiker aus.
1Aussage des Bundesartes: Inspektion «Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen in der obligatorischen Krankenversicherung»; Schreiben der GPK-N vom 26. Januar 2009 Stellungnahme des Bundesrates vom 24. Juni 2009 / Antwort auf Empfehlung 3 Beantragung von Leistungen ohne klaren Indikationsbezug.
Links zur Leistungskommission
Weiterführende Informationen zu den Anträgen:
29.11.2010