Schmerzen verändern das Gehirn
Bereits ein täglicher fünfminütiger Schmerzreiz während ein paar Tagen verändert bei gesunden Menschen das Gehirn, wie eine Studie zeigt. Um einer Chronifizierung vorzubeugen müsse eine Schmerztherapie frühzeitig beginnen, wie Experten schreiben.
Der folgende Artikel ist eine Pressemeldung des Deutschen Forschungsverbunds Neuropathie.
Schmerzen entstehen immer im Kopf, doch was passiert dabei mit dem Gehirn? Eine jetzt veröffentlichte Studie im Fachjournal „Pain“, die im Rahmen des EU-Forschungsnetzwerkes „Europain“ durchgeführt wurde, zeigt: Ein täglich fünfminütiger Schmerzreiz über elf Tage bewirkt bei gesunden Probanden, dass sich das Gehirn anatomisch umbildet.
„Ähnliche Veränderungen des Gehirns lassen sich auch bei Patienten, die an chronischen Schmerzen leiden, beobachten. Wir müssen also mit der Schmerztherapie so früh wie möglich beginnen, um diesen Umbauprozessen und damit der Chronifizierung von Schmerzen rechtzeitig entgegenzuwirken.“, erklärt Prof. Thomas R. Tölle, Technische Universität München (TUM).
Die Wahrnehmung von Schmerzen hängt stark von individuellen Faktoren, darunter auch der Schmerzempfindlichkeit ab. Wiederholte Schmerzreize verändern das Schmerzempfinden. Doch in welchem Masse? Und welche strukturellen Veränderungen des Gehirns gehen damit einher?
Wiederholte Schmerzreize führen zur Gewöhnung – oder zur Sensibilisierung!
Um die Auswirkungen wiederholter Schmerzreize genau zu untersuchen, haben Forscher des Klinikums rechts der Isar der TUM ein ausgefeiltes Schmerzstimulationsprotokoll entwickelt. Über elf Tage bekamen insgesamt 27 gesunde Probanden abwechselnd acht schmerzhafte Hitzeschmerzreize und acht nicht-schmerzhafte Wärmereize am Unterarm verabreicht. Die tägliche Gesamtdauer der schmerzhaften bzw. nicht-schmerzhaften Reize betrug jeweils etwa fünf Minuten.
Die Temperatur der Hitzeschmerz- bzw. Wärmereize wurde individuell für jeden Probanden entsprechend der numerischen Schmerzskala (von „0 = kein Schmerz“ bis „10 = stärkster vorstellbarer Schmerz“) angepasst. „ „Die Hälfte unserer Probanden wurde auf den Schmerz sensibilisiert, das heisst sie empfanden die applizierten Reize mit zunehmender Studiendauer als unangenehmer oder schmerzintensiver.“, so Dr. Anne Stankewitz, Neurologische Klinik TUM.
Sensibilisierung geht mit Veränderungen im Gehirn einher
Vor Beginn der Studie und am Ende wurde zudem je eine kernspintomografische Aufnahme (MRT) des Gehirns durchgeführt. Der Vergleich der „vorher-nachher“ Bilder erfolgte mittels Voxel-basierter Morphometrie (VBM), mit der z.B. Abweichungen in Grösse und Form von Gehirnstrukturen nachweisbar sind. Tölle erläutert: „Bei den Probanden, die im Laufe der wiederholten Schmerzreizung eine Sensibilisierung aufwiesen, konnten wir eine eindeutige Abnahme der Dichte in verschiedenen Bereichen der Gehirnrinde aufzeigen. Dabei waren v.a. Gehirnstrukturen betroffen, die bei der Schmerzverarbeitung eine Rolle spielen.
Bei der anderen Gruppe konnten wir hingegen keinerlei Veränderungen feststellen.“ Bemerkenswert ist, dass die Ergebnisse der Sensibilisierungs-Gruppe denen chronischer Schmerzpatienten entsprechen, die ebenfalls keinen Gewöhnungseffekt auf den Schmerz aufweisen und ähnliche Veränderungen im Gehirn aufzeigen. Weiterführende Studien sollten dementsprechend untersuchen, ob gesunde Probanden, die zur Sensibilisierung auf wiederholte Schmerzreize neigen, auch eine erhöhte Neigung aufweisen, chronische Schmerzen zu entwickeln.
26.09.2013