Sexualität im Alter - ein Privileg der Jungen?
Dr. med. G. Alund, Facharzt FMH für Urologie, erzählt aus der praktischen Arbeit mit Männern, mit welchen Problemen sie zu ihm kommen, worüber Männer reden - oder eben nicht, was es mit dem Mythos "Tod und Sex" auf sich hat und was Erektionsprobleme mit Herz-Krankheiten gemeinsam haben können.
Legende zum Interview - Sexualität im Alter
- Ist Sex im Alter ein Tabuthema?
- Von welchem Alter sprechen wir?
- Mythos "Tod beim Sex "
- Sexueller Leistungsknick ab 70?
- Wann ist es eine Erektile Dysfunktion (ED)?
- Wie steht es mit Risikofaktoren?
- Wann zum Arzt?
- Behandlung der ED?
- Vertragen sich Herzmedikamente und die Behandlung der ED?
Jacqueline Geser: Ist Sex im Alter ein Tabuthema?
Dr. med. Göran Alund
Heute deutlich weniger als früher. Die Gesellschaft ist offener geworden, man redet beispielsweise im Turnverein über Sex, und das Internet trägt seinen Teil dazu bei. Vor 30 bis 40 Jahren wurde noch nicht einmal in den Familien darüber geredet. Stelle ich einem Patienten die Frage, ob bereits der Vater ein Prostataleiden hatte, können insbesondere ältere Männer hierzu keine Auskunft geben, denn alles rund um das Thema Sex inklusive Erkrankungen war tabu.
Jacqueline Geser: Reden und praktizieren?
Dr. med. Göran Alund
Warum soll Sexualität ein Privileg der Jungen sein? Die Ausübung von Sexualität wird gedanklich und von den Medien vor allem den Jungen zugestanden. Doch Sex ist heute auch eine Art Genussmittel und dient längst nicht mehr nur der evolutionsbiologischen Arterhaltung. Die Leute sind unerwartet aktiv im Alter! Auch wenn sich die Qualität des Sex ändert. Das ist bekanntlich auch im Verlauf einer Ehe so. Im Alter verschieben sich die Prioritäten weg von der Sportart und der Leistungsfähigkeit hin zu Zärtlichkeit, Geborgenheit und Wohlbefinden.
Jacqueline Geser: Von welchem Alter sprechen wir?
Dr. med. Göran Alund
Das ist relativ. Wenn wir zurückdenken, so war früher, in der Generation meiner Eltern und Grosseltern, ein 60-Jähriger schon richtig alt. Heute sind die 70-Jährigen noch sehr jung, häufig mit einem modischen Erscheinungsbild. Rein statistisch gesehen, findet sich im Alter von 70 Jahren allerdings ein Einbruch bei der Leistungsfähigkeit.
Jacqueline Geser: Betrifft dies Männer und Frauen gleichermassen?
Dr. med. Göran Alund
Sie müssen wissen, dass mehr über Männer geforscht wird als über Frauen. Männer gleich Sex. Studien über Frauen gibt es nur wenige. Ich spreche hier daher vor allem über Männer.
Jacqueline Geser: Nehmen wir den Mythos «Tod beim Sex» unter die Lupe. Wie steht es damit?
Dr. med. Göran Alund
Ein schöner Tod – wenigstens für den Betroffenen. Für die Angehörigen eher nicht, denn meistens findet dieser in den Armen einer Geliebten statt, die im Durchschnitt 20 Jahre jünger ist als der Mann. 93% der Opfer sind Männer über 59; junge Männer sind sehr selten betroffen. Die älteren Herren sterben an plötzlichem Herzversagen, und das, obwohl drei Viertel von ihnen zuvor keine Herzbeschwerden hatten.
Ausserehelicher Sex, verbunden mit dem Stress, am falschen Ort zu sein oder ein schlechtes Gewissen zu haben – das ergibt in diesem Fall eine tödliche Kombination. Und dennoch, Tod beim Sex ist sehr selten. In einer Frankfurter Studie sind von 30'000 untersuchten Todesfällen lediglich 60 auf Tod beim Sex zurückzuführen. Ich würde sagen, Rasenmähen ist gefährlicher. Denn Männer mähen einfach häufiger den Rasen!
Jacqueline Geser: Sie haben vorhin über den Knick ab dem 70. Altersjahr gesprochen. Was geschieht da?
Dr. med. Göran Alund
Bei Männern nimmt die sexuelle Leistungsfähigkeit bereits ab dem 30. Lebensjahr stetig etwas ab. Der grosse Knick liegt bei 70 Jahren. Dies betrifft allerdings nicht nur die Erektionsfähigkeit. Parallel dazu fallen auch Muskelkraft, Lungenfunktion und die Herzleistung ab. Zeitgleich nehmen eben die Erektionsstörungen zu.
Jacqueline Geser: Gibt es hierfür eine Erklärung?
Dr. med. Göran Alund
Bei einer Erektion steigert sich die Durchblutung im Penis um das 100-Fache. Sind die Gefässe nicht mehr so durchlässig oder gar verstopft, was im Alter häufig der Fall ist, fliesst zu wenig Blut in den Schwellkörper: Die Erektion bleibt aus. Ähnlich wie beim Herz, wo Durchblutungsstörungen zu einer Beeinträchtigung der Herzleistung führen können. Ein schlaffer Penis kann denn auch ein Warnsignal für ein sich abzeichnendes kardiologisches Problem sein. Lange bevor sich dieses zeigt, manifestieren sich vielfach zuerst Erektionsstörungen. Ich rate Patienten mit einer erektilen Dysfunktion, wie dies in der Fachsprache heisst, zusätzlich zu einer urologischen Abklärung immer auch einen Kardiologen aufzusuchen.
Jacqueline Geser: Wann spricht man von erektiler Dysfunktion?
Dr. med. Göran Alund
Grundsätzlich immer dann, wenn keine ausreichende Erektion zustande kommt. Dies kann auch eine Momentaufnahme sein, beispielsweise wenn zu viel Alkohol im Spiel ist. Meistens spricht man von erektiler Dysfunktion, kurz ED, aber nur, wenn das Problem über längere Zeit anhält. Die Häufigkeit von ED nimmt im Alter zu. Studien besagen, dass Erektionsstörungen unter den 50-bis 59-Jährigen bei 18%, unter den 60-bis 69-Jährigen bei 38% und in der Gruppe der 70-bis 79-Jährigen bei 50% vorkommen. In der Schweiz sind schätzungsweise 300 000 Männer von ED betroffen. Damit steht die Erektionsstörung zahlenmässig vor Herzinfarkt und Schlaganfall!
Jacqueline Geser: Wie steht es mit Risikofaktoren?
Dr. med. Göran Alund
Es gibt neben spezifischen Ursachen, wie beispielsweise einem Trauma oder einer Operation im Becken-oder Wirbelsäulenbereich, eine Reihe von Risikofaktoren, die identisch sind mit jenen einer Herzerkrankung. Hierzu zählen: Bluthochdruck, Diabetes, erhöhtes Cholesterin, Depression, Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel. So erklärt sich auch die enge Verbindung mit einem möglichen kardiologischen Problem.
Jacqueline Geser: Wann ist es sinnvoll, einen Arzt aufzusuchen?
Dr. med. Göran Alund
Das ist individuell. Es hängt davon ab, wie es der Einzelne empfindet. Ist es schlimm? Stört es die Partnerin? Mit 70 können die Antworten anders ausfallen als mit 60 oder mit 50. Generell kann man aber sagen, dass der Reiz heute stärker ist. Sex ist präsenter im Alltag. Damit ist auch die Offenheit gestiegen, etwas dagegen zu tun. Und im Gegensatz zu früher wird ED nicht mehr als psychologisches Phänomen eingestuft.
Jacqueline Geser: Wie sieht eine Behandlung aus?
Dr. med. Göran Alund
Primäre und hauptsächlich gewünschte Behandlungsmethode sind Medikamente. Wichtig sind aber auch das Gespräch mit dem Patienten sowie eine kardiologische Abklärung. Dabei sollte die Partnerin einbezogen werden, weshalb ich immer frage: «Was meint Ihre Partnerin dazu?» Stellen Sie sich vor: Nach 10 Jahren Funkstille kommt der Mann mit seinen Pillen nach Hause und will plötzlich. Das kann ganz schön ist Auge gehen..
Jacqueline Geser: Vertragen sich Medikamente fürs Herz mit Tabletten gegen ED?
Dr. med. Göran Alund
Das kardiale Risiko, die Wahl der Medikamente und die Krankengeschichte müssen von einem Kardiologen angesehen und bei Bedarf mit dem Urologen abgestimmt werden. Es gibt verschiedene Medikamente für das Herz, ebenso, wie es neben den Potenzpillen auch noch die Möglichkeit von Vakuumpumpen, operativen Therapien oder Schwellkörperinjektionen gibt, auch wenn diese auf der Beliebtheitsskala bei den Betroffenen weit nach den Medikamenten kommen. In der Regel lässt sich dadurch ein Weg für eine erfüllte Sexualität auch im Alter finden.
Zum Interview-Partner
Dr. med. Göran Alund, Facharzt FMH für Urologie, speziell für operative Urologie, ist Belegarzt an der Klinik Im Park, Zürich, und betreibt seine eigene Praxis ebenfalls in Zürich.
Jacqueline Geser ist Redaktorin der Patientenzeitschrift "Mittelpunkt" der Klinik Im Park, Zürich und Kommunikationsberaterin mit eigener Agentur in Zürich.
28.01.2010