Testosteron-Ersatztherapie: Risiken grösser als Nutzen
Die Wechseljahre beim Mann waren unter anderem Thema an der 76. Jahresversammlung der Schweizer Gesellschaft für Innere Medizin (SGIM).
Radrennsportler wissen es: Das Sexualhormon Testosteron eignet sich bestens, um die Regeneration müder Muskeln zu beschleunigen.
In den USA erfreut sich Testosteron als Bestandteil von Anti-Aging-Präparaten für den gesunden Mann ab 50 seit Jahren einer rasant wachsenden Beliebtheit.
Auch in der Schweiz verknüpfen Männer in der zweiten Lebenshälfte den Gang zum Hausarzt oder Urologen immer öfter mit dem Wunsch nach einer Testosteronbestimmung und einer mehr Vitalität und Manneskraft verleihenden Behandlung. Ob das Hormon - in diesem Fall legal angewandt - als Therapeutikum tatsächlich in der Lage ist, diverse Befindlichkeitsstörungen des in die Jahre kommenden Mannes zu beheben, ist aus medizinischer Sicht zurzeit eher fraglich.
Hormonmangel als Teil des natürlichen Alterungsprozesses
"Es liegen keine Studien vor, die den klinischen Nutzen der Testosteron-Ersatztherapie bei Männern mit altersbedingtem Testosteronmangel anhand quantifizierbarer Kritierien belegen", sagte Prof. Christoph A. Meier, Chefarzt Innere Medizin am Zürcher Triemlispital und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie an der Jahresversammlung der Schweizerischen Gesellschaft für Innere Medizin (SGIM) in Lausanne.
Die Rede ist von der "Andropause", dem sogenannten Klimakterium oder den "Wechseljahren" des Mannes. Unter diesem Begriff fassen Mediziner verschiedene Symptome bei männlichen Individuen in der zweiten Lebenshälfte zusammen: nachlassende Muskelkraft, abnehmendes sexuelles Interesse, erektile Dysfunktion, depressive Verstimmungen, vermehrte Fettanlagerung an Bauch und Hüften und Schlafstörungen.
Hormonwerte sinken langsam
Anders als bei der Menopause der Frau, bei der eine rapide Abnahme weiblicher Geschlechtshormone das Ende der Fruchtbarkeit markiert, nimmt die Produktion des Testosterons beim Mann ab dem 50. Lebensjahr kontinuierlich ab - etwa um 1% pro Jahr. "Es gibt jedoch ältere Männer, die mit nur leicht reduzierten Testosteronwerten mehrere der genannten Symptome aufweisen, während andere trotz auffällig tiefer Testosteronspiegel symptomfrei sind", berichtet der Meier. Etwa 20% der 60- bis 70-Jährigen weisen Testosteronwerte auf, die gemäss den Kriterien einzelner Experten als (zu) gering zu bezeichnen sind. Bei den über 80-Jahrigen ist es sogar jeder zweite.
Gefahren überwiegen
Trotz allem rät Christoph A. Meier von routinemässigen, medizinisch unbegründeten Testosterontests ab. Zurzeit lägen weder Grenzwerte für einen behandlungsbedürftigen altersbedingten Testosteronmangel noch validierte Vorgaben für therapeutische Interventionen vor. Überhaupt sollte die Testosteron-Ersatztherapie nach Meinung des Zürcher Internisten und Endokrinologen nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die geschilderten Beschwerden eindeutig auf einen Testosteronmangel hinweisen und die Serumspiegel klar erniedrigt sind.
Fehlende Langzeitstudien
Zu den gefährlichsten Nebenwirkungen einer inadäquaten Testosterontherapie zählen gutartige Prostatavergrösserungen und Thrombosen, herbeigeführt durch eine übermässige Vermehrung roter Blutkörperchen. Solange aber noch keine Langzeitstudien durchgeführt wurden, die sowohl den Nutzen und als auch die Unbedenklichkeit der Testosteron-Ersatztherapie belegen, sind vorläufig die potenziellen Gefahren der "Andropause-Behandlung" von grösserer klinischer Relevanz als ihr Nutzen.
Die Jahresversammlung der SGIM und ihrer Gastgesellschaften ist mit rund 3'500 Teilnehmern der grösste Schweizer Ärztekongress (www.congress-info.ch/sgim2008). Weitere Informationen über die Schweizerische Gesellschaft für Innere Medizin (SGIM) sind unter www.sgim.ch erhältlich.
31.05.2008