Wenn Sportler zu viel wollen
Die meisten Amateursportler sind nicht olympiareif. Aber sie geben beim Training Alles und wundern sich über Schmerzen, Muskelkater oder Kreislaufprobleme.
Ursache des Übertrainingszustandes ist eine für den Trainingszustand zu hohe Trainingsintensität und/oder ein zu hoher Trainingsumfang, sodass eine ausreichende Regeneration zwischen den Trainingseinheiten nicht mehr gewährleistet ist und es zunächst zu einer Leistungsstagnation und schliesslich zum Leistungsabfall ("Leistungsknick") kommt.
Oft spielen aber neben der zu hohen Trainingsanforderung auch noch zusätzliche Stressfaktoren (beruflicher oder privater Natur) eine Rolle. Das erklärt zum Teil die Tatsache, dass die "Anfälligkeit" für ein Übertrainingssyndrom individuell ist. Die Ursache dieser individuellen Disposition ist noch nicht geklärt.
Man unterscheidet ein "sympathicotones" von einem "parasympathicotonen" Übertrainingssyndrom, wobei ersteres das "klassische" Bild zeigt und zweiteres aufgrund der Vagotoniesymptomatik oft nicht gleich als Übertrainingszustand erkannt bzw. diagnostiziert wird.
Symptome beim Übertraining
Die typischen Symptome eines sympathicotonen Übertrainingssyndroms sind ein erhöhter Ruhepuls (= morgendliche Herzfrequenz unmittelbar nach dem Erwachen) und der verzögerte Rückgang der HF nach Belastung. Auch der Ruheblutdruck kann höher als sonst bzw. erhöht sein und analog zur HF kann die Normalisierung des Blutdrucks nach Belastung verzögert sein.
Neben einer verminderten Leistungsfähigkeit können folgende Symptome auftreten:
- Orthostatische Kreislaufdysregulation: Beim Aufstehen oder im Stehen plötzliches "Schwarzwerden vor den Augen", Schwindel bis hin zum Kollaps.
- Erhöhte Infektanfälligkeit
- Gewichtsverlust
- Zyklusstörungen bis hin zur Amenorrhoe (Ausbleiben der Regelblutung)
- Schlafstörungen
- Depressive Verstimmung
- Appetitmangel
- Allgemeine Antriebslosigkeit
- Gesteigertes Trinkbedürfnis in der Nacht
- Libidomangel
- Muskel-und Gelenksschmerzen
- Im Blutserum ist evtl. (nicht obligat) Creatinkinase und Harnstoff - unabhängig von der vorangegangenen Trainingsbelastung - erhöht.
Übertraining und Aminosäurestoffwechsel
Eine mögliche Ursache des Übertrainingssyndroms könnte ein Ungleichgewicht im Aminosäurestoffwechsel sein. Diese Hypothese geht von einer Verschiebung des Gleichgewichts der Plasmakonzentration zwischen verzweigtkettigen Aminosäuren und freiem Tryptophan aus. Dies könnte zu einer erhöhten Konzentration an Tryptophan und 5-Hydroxytryptamin (besser bekannt als Serotonin) im Gehirn und in den peripheren Nervenzellen führen.
Die Ursache für dieses mögliche Aminosäuren-Ungleichgewicht könnte eine zu intensive Muskelarbeit mit erhöhtem Verbrauch an verzweigtkettigen Aminosäuren als Energiequelle sein bei gleichzeitiger Steigerung der freien Fettsäuren im Plasma durch zu umfangreiches extensives Ausdauertraining. Die Frage ist nur, ob diese Effekte, die eigentlich eher bei der akuten Ermüdungsreaktion der Muskulatur eine Rolle spielen, auch für das Übertrainingssyndrom, welches sich längerfristig entwickelt, verantwortlich gemacht werden können, oder ob das beschriebene Aminosäuren-Ungleichgewicht auch andere Reaktionen bewirken kann.
Folgen eines erhöhten Serotoninspiegels
Besagtes Serotonin spielt im Zentralnervensystem (ZNS) eine komplexe Rolle, seine physiologische Funktion umfasst drei Bereiche:
- 1. Wachheitsgrad, Schlaf, Stimmung: Serotonin wirkt schlafanstossend und stimmungsaufhellend.
- 2. Vegetative und endokrine (hormonelle) Funktion: Im ZNS kommt Serotonin v.a. im Hypothalamus vor. Hier bewirkt es die Freisetzung von Faktoren, die die Abgabe der Hypophysenhormone regeln (Hypophyse = Hirnanhangdrüse). Beim Übertrainingssyndrom konnte ein Abfall des LH (= luteinisierendes Hormon) nachgewiesen werden. Beim Mann führt das zu einer verminderten Testosteronbildung und einem Absinken des Testosteronspiegels, bei der Frau zu einem gestörten Zykus bis hin zur Amenorrhoe. Ein Abfall der Serotoninkonzentration im Hypothalamus kann zu Esssucht führen, ein "Zuviel" könnte die Appetitlosigkeit beim Übertrainingszustand erklären.
- 3. Neuromotorische Erregbarkeit: Absteigende serotonerge Neurone steigern die neuromotorische Erregbarkeit. Sie steigern dadurch die monosynaptische Reflexaktivität, während polysynaptische Reflexe, die bei komplexen muskulären Bewegungen, also insbesondere beim Sport, beteiligt sind, abgeschwächt werden. Dies kann zur Verschlechterung der Leistungsfähigkeit im übertrainierten Zustand beitragen.
Ähnliche Auswirkungen wie im ZNS haben Tryptophan und Serotonin im peripheren bzw. vegetativen (autonomen) Nervensystem. Serotonin stimuliert den Sympathikus. So könnte man sich die erhöhte Herzfrequenz beim sympathikotonen Übertrainingszustand durch eine erhöhte Serotoninkonzentration in sympathischen Nervenfasern erklären.
Weiters hemmt Serotonin die Freisetzung von Noradrenalin aus den sympathischen Nervenendigungen in Blutgefässen, wodurch es zur Gefässerweiterung und damit zu Durchblutungsveränderungen kommt, die bei einem Übertrainingssyndrom beobachtet werden können.
Therapie des Übertrainings
Die "Therapie" eines Übertrainingszustandes besteht in einer Unterbrechung des Trainingsalltags und einer Reduktion von Trainingsumfang und Trainingsintensität. Die ersten Tage sollten der allgemeinen Regeneration dienen, die mittels Regenerationstraining (30 bis maximal 45-minütiges Kreislauftraining mit einer Intensität unterhalb der trainingswirksamen "Schwelle"), welches Herz-Kreislauf und Vegetativum "beruhigt" sowie muskulären Regenerationsmassnahmen, wie Sauna, Whirlpool, Schwimmen, Massagen, Gymnastik, Stretching usw, erreicht wird.
Anschliessend kann wieder mit einem aufbauenden Ausdauertraining begonnen werden, zunächst aber ausschliesslich mit extensiven Dauereinheiten im Grundlagenausdauer 1-Bereich ("Fettstoffwechselbereich"). Je nach Schweregrad des Übertrainingssyndrom sollte nach ein- bis zwei Wochen die Wiederaufnahme eines systematischen Trainingsprozesses möglich sein.
25.02.2005