Übergewicht und Adipositas bei 6-12-jährigen Kindern in der Schweiz
Wie in anderen Ländern hat die Zahl der übergewichtigen und adipösen Kinder in der Schweiz in den letzten Jahren stark zugenommen. Fastfood, keine geregelten Mahlzeiten zu Hause und zu wenig Bewegung sind die Hauptursachen für die „gewichtigen“ Probleme der Kinder.
Diese sind bei übergewichtigen Kindern wesentlich gravierender als bei Erwachsenen, da die Lebensspanne erst angefangen hat. Die schwerwiegendsten Folgen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes sowie orthopädische Probleme und später Lungenleiden. Übergewichtige haben im Vergleich zu normalgewichtigen Kindern ein doppelt so hohes Risiko, diese Gewichtsprobleme auch im Erwachsenenalter zu haben.
Am besten bekannt ist das Problem in den USA, mittlerweile sind aber auch die europäischen Länder betroffen. Eine Untersuchung von 1993 hat in der Schweiz Übergewicht bei 21.8% erwachsenen Frauen und bei 39.2% bei erwachsene Männern gezeigt (BMI > 25). Adipös (schwer übergewichtig) waren 4.5% der Frauen und 5.8% der Männer (BMI > 30). Zum BMI-Test >>.
Bisher lagen keine exakten nationalen Zahlen für Schweizer Kinder vor. Möchte man nationale Projekte im Kampf gegen Adipositas initiieren, sollte die Ausgangsbasis bekannt sein. Die vorliegende Studie hatte die genaue Abschätzung von Übergewicht und Adipositas bei 6-12-jährigen Kindern in der Schweiz zum Ziel.
Methode
Für die Datenerhebung wurden in einem ersten Schritt nach dem Zufallsprinzip 30 Schulen in der Schweiz ausgewählt. In einem zweiten Schritt erfolgte die zufällige Auswahl von je zwei Schulklassen pro Schule. Im Ganzen nahmen im Durchschnitt 20 6-12-jährige Kinder pro Schule an der Studie teil (insgesamt 595 Kinder).
Bei allen Kindern wurde Grösse und Gewicht gemessen und daraus der BMI berechnet. Die Definition von Übergewicht und Adipositas beruhten auf den Referenzwerten von 4 verschiedenen Untersuchungen aus den USA.
In einem persönlichen Interview beantworteten die Kinder ausserdem die folgenden 3 Fragen:
- Findest Du Dich zu dick, zu dünn oder gerade richtig?
- Versuchst Du zur Zeit Gewicht zu verlieren oder zuzunehmen?
- Lässt Du Mahlzeiten aus, um Gewicht zu verlieren?
Ergebnisse zur Studie (PDF, Tabelle)
Diskussion durch die Autoren
Wie in anderen Ländern hat die Zahl der übergewichtigen und adipösen Kinder in der Schweiz in den letzten Jahren stark zugenommen. 22% der 8-jährigen Knaben hatten im Jahr 2000 einen BMI > 18.2, in den 60er Jahren waren es noch 3%.
Der gleiche Trend zeigt sich auch bei Mädchen. Eines von 4 Mädchen im Alter von 9-12 Jahren fühlt sich zu dick und nahezu ein Drittel versucht, abzunehmen. Nachdem die Interviews in einer möglichst entspannten Umgebung gemacht wurden, kann man diese Zahlen als ziemlich glaubwürdig einschätzen.
Die kalorienarme Ernährung hat einen ungünstigen Einfluss auf diese Entwicklung. Da die Therapie der Adipositas (starkem Übergewicht) häufig nicht von Erfolgen gekrönt ist, sollte viel mehr auf die Prävention geachtet werden, z.B. Ernährungsschulung und physische Aktivität.
Die Gewichtsproblematik in der Kindheit ist vor allem deswegen von Belang, weil sie sich häufig bis ins Erwachsenenalter hält und ein hoher BMI mit einer erhöhten Herz-Kreislauf-Erkrankungen und deren Todesfolgen einhergeht.
Potentielle Verzerrungsfaktoren der Studie sind die relativ kleine Anzahl Kinder, die Möglichkeit, dass Kinder, die in der Studie nicht mitmachen wollten, ein anderes Verhalten haben als die Teilnehmer. Des weiteren sind der Einfluss der Eltern und die Tatsache, dass der BMI als Index für Adipositas bei Kindern noch relativ schlecht evaluiert ist nicht zu unterschätzen.
Zusammenfassender Kommentar
Die Zahlen zu Übergewicht und Adipositas bei Schweizer Kindern entsprechen denen in den USA von vor 10 Jahren. Zwar liegen wir also noch ca. 10 Jahre hinter der Übergewichtsentwicklung der USA zurück, sind aber auf dem besten Weg, diesen „Trend“ mitzumachen. Das Thema „Übergewicht bei Kindern“ ist zu einem zentralen Diskussionspunkt der Gesundheitspolitik geworden. Allerdings ist es ein multifaktorielles Geschehen und kann nicht so einfach einem „Schuldigen“ zugeschrieben werden.
Einerseits ist der „Energie-Input“ zu gross – zu energiedichte Nahrungsmittel v.a. bei Fastfood, ständige Verfügbarkeit aller Nahrungsmittel, aufbrechende Familienstrukturen, zunehmendes Snacking zu Hause und unterwegs, etc. – andererseits ist der „Energie-Output“ zu gering – immer weniger Bewegung, zu Hause vor dem Fernsehgerät, Gameboy und Computer, der Schulweg mit Verkehrsmitteln und nicht mehr zu Fuss oder mit dem Fahrrad, abnehmender Schulsport, etc.
Eine Lösung kann nur in der gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten gefunden werden: Familien, Schulen, Kinderärzte, Nahrungsmittelindustrie und v.a. Politik, welche Rahmenbedingungen schaffen muss, um dieses Problem richtig angreifen zu können.
20.06.2005 - Zimmermann MB, Hess SY, Hurrell RF; Eur J Clin Nutr 2000;54:568-572