Legende zum Interview
Sprechzimmer: Frau Isenschmid, im ersten Teil beleuchteten wir vorwiegend praktische Aspekte des Fastens. Gibt es auch kritische?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Regelmässiges Sattessen war und ist weder für Menschen noch für Tiere normal. Der gesunde menschliche Organismus verfügt über die natürliche Möglichkeit, zum Beispiel in Notsituationen aus eigenen Reserven für eine begrenzte Zeit überleben zu können. Es ist aber nach wie vor umstritten, ob freiwilliges Fasten ein sinnvoller oder sogar notwendiger Bestandteil der menschlichen Natur ist. In der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern – die soeben vorbei ist – sehen Menschen christlichen Glaubens nebst den biologischen auch die rituellen und spirituellen Aspekte. Bei gesunden Menschen spricht nichts dagegen.
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Sprechzimmer: Wer sollte Ihrer Meinung nach nicht fasten?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Bei Erkrankungen der Ausscheidungsorgane (Darm, Niere), bei akuten Infektionskrankheiten, bei schweren Erkrankungen wie z. B. Tumoren oder während der Erholungsphase nach Operationen darf auf keinen Fall gefastet werden. Auch psychisch Kranken, Stillenden, Schwangeren, Kindern, alten Menschen und bei Essstörungen muss dringend von längerem Fasten abgeraten werden. Und: Der Rat von „Experten“, dass durch Fasten Krankheiten wie zum Beispiel Krebs geheilt werden können, ist nicht nur falsch, sondern gefährlich.
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Sprechzimmer: Gibt es nachweislich Belege für die gesundheitliche Wirkung?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Erhöhte Blutfette, Diabetes, Bluthochdruck und Allergien können durch Verminderung an bestimmten Nahrungsbestandteilen wie Zucker, Fett, Kochsalz sowie die durch den Verzicht auf allergener Nahrungsanteile verbessert werden, das ist erwiesen. Die berichteten Erfolge des Fastens bei chronischen Schmerzen oder psychosomatischen Störungen beruhen in der Regel meist auf individuellen Erlebnissen. Sie halten wissenschaftlichen Überprüfungen meistoft nicht stand und dürfen nicht verallgemeinert werden.
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Sprechzimmer: Wie wirkt sich Fasten auf Arbeit und Sport aus?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Beim Fasten ist die Energiezufuhr begrenzt. Es besteht deshalb ein erhöhtes Ruhe- und Schlafbedürfnis, welchem nachgegeben werden sollte. Zur Stärkung des seelischen Erlebens elches – ein wesentlicher Teil des Fastens sein soll - helfen Entspannungsübungen, Schweigezeiten und Meditation. Spazieren, leichtes Wandern oder Schwimmen fördert die Durchblutung, erhält die Muskelkraft, verstärkt die Kohlendioxidausscheidung über die Lungen und hebt die Stimmung. Höchstleistungen im Sport, anstrengende Arbeiten, intensive psychische Momente wie zum Beispiel soziale Auseinandersetzungen, sollten jedoch vermieden werden. Sie schwächen Körper und Seele zusätzlich.
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Sprechzimmer: Macht es Sinn, für teures Geld in Kliniken oder im Hotel nichts zu Essen?
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Dr. med. Bettina Isenschmid
Bei ausgeprägtem Übergewicht kann begleitetes, stationäres Fasten Sinn machen. Aber: Wenn danach kein ambulantes Anschlussprogramm mit Ernährungsberatung, Verhaltenstherapie und körperlicher Aktivität erfolgt, ist es häufig rausgeschmissenes Geld. Lebensgewohnheiten werden in der Regel nicht auf die Schnelle dauerhaft verändert. Der Rückzug in eine Klinik oder in ein Kurhaus, verbunden mit idyllischer Umgebung, gesunder Ernährung, Reduktionskost und viel Bewegung hilft, Abstand zu stressigen oder einengenden Situationen zu finden. Doch auch hier gilt: Ohne durchdachtes Anschlussprogramm wird der Erfolg nur kurz sein und schon bald treibt man wieder in den alten Gewässern. Und das Preis-Leistungs-Verhältnis sollte natürlich auch beim Fasten stimmen!
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Wir bedanken uns herzlich bei Frau Dr. Bettina Isenschmid für die spontane Zusage und das äusserst informative Interview und wünschen ihr weiterhin viel Erfolg in Ihrer Arbeit als Präventionsexpertin.
Zur Interview-Partnerin
Frau Dr. med. et MME Bettina Isenschmid ist als Psychiaterin und Psychotherapeutin FMH Ko-Leiterin des Kompetenzbereichs Adipositas, Ernährungspsychologie und Prävention von Essstörungen (KEA) an der Universitätspoliklinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung des Inselspitals Bern.
Als Präsidentin resp. Vorstandsmitglied der Vereine PEP Bern und PEP Suisse beschäftigt sie sich mit Projekten der Prävention und Früherkennung und der Schulung von Mediatorinnen diverser Berufsgruppen aus Gesundheitswesen und Pädagogik.
Das Interview erscheint im Gesundheitsteil der Pendlerzeitung NEWS vom 14. April 2009 als Teil 2 zum Thema rund ums Fasten.
Teil 1 in der NEWS Ausgabe vom 07.04.2009: Fokus: Praktische Aspekte des Fastens, wer darf Fasten, Vorbereitung. mehr >>
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Telefon: +41 31 632 0800
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