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Co-Abhängigkeit im Umfeld von Alkoholikern

Alkohol Co-Abhängigkeit
Streit in Öl auf Leinwand by Stefan Wyss©

Eine Co-abhängige Frau sagte einmal: Mein Mann hatte den Alkohol im Blut, ich hatte den Alkohol im Kopf! Die Frau spricht von ihrer Co-Abhängigkeit, die sich auf ihre Persönlichkeit genauso fatal auswirken kann, wie die Abhängigkeit selber.

Geholfen wird mit einer Co-Abhängigkeit niemandem, im Gegenteil, Co-Abhängigkeit verhindert das Behandeln der Alkoholkrankheit und im fortgeschrittenen Stadium braucht der Co-Abhängige bald selber Hilfe.

Familien- und Partnerkrise

Ist ein Familienmitglied alkoholabhängig, leidet die ganze Familie mit. Was wird nicht alles getan, um den Alkoholkonsum des Abhängigen unter Kontrolle zu bringen.

Dabei werden die verschiedensten Methoden angewandt - wegschütten oder verstecken der alkoholischen Getränke, suchen nach den heimlichen Alkoholvorräten, mittrinken, bitten, versprechen, fordern, schimpfen, drohen, beschuldigen. Die Versuche der Familie, den Alkoholismus eines Familienmitgliedes in den Griff zu bekommen, bestimmen immer mehr das gesamte Denken, Fühlen und Handeln der Familie.

Es werden immer neue Versuche unternommen, immer neue Hoffnungen geweckt und gleichzeitig immer neue Enttäuschungen erlebt. Der Alkoholismus des Betroffenen wird zum Mittelpunkt der Familie. Die Gefühle der Familienmitglieder sind denen des Abhängigen sehr ähnlich, auch sie fühlen sich hilflos, schuldig und frustriert.

Hinzu kommt eine gewaltige Portion Ärger und Wut, denn alle Bemühungen führen zu keinem befriedigendem Ergebnis. Änderungen sind meist nur von kurzer Dauer und alsbald beginnt das Spiel von Neuem.

Eine ehemalige Co-Abhängige fasste dies folgendermassen in Worte: "Ich dachte immer ich müsste meinen Mann vom Alkohol wegbringen. Dabei bemerkte ich nicht, wie ich selber immer mehr in süchtiges Verhalten fiel. Mein Partner hatte den Alkohol im Körper, ich hatte den Alkohol im Kopf - aber den, den er getrunken hat oder trinken wird. Meine Gedanken kreisten permanent um den Alkohol: Wird er wieder trinken? Was erwartet mich zu Hause, wenn er betrunken ist? Wo hat er den Stoff versteckt? Ich habe nur noch an ihn und seine Sucht gedacht, nicht mehr an mich.

Ich wusste ganz genau, was gut für meinen Mann war. Er sollte aufhören zu trinken, damit es mir und der Familie besser ginge. Leider ist dieses Konzept nicht aufgegangen. Heute habe ich erkannt, dass ich nicht an seinem Trinken schuldig bin und auch nichts daran ändern kann. Mein Partner muss trinken, er wird nicht wegen mir aufhören. ABER: Ich kann was für mich tun, denn ich bin der einzige Mensch, den ich ändern kann.

Stadien der Co-Abhängigkeit

Genauso wie es Stadien der Alkoholkrankheit gibt, gibt es Stadien der Co-Abhängigkeit.

Anfangsphase

  • Die Angehörigen verleugnen ebenso wie der Betroffene das Alkoholproblem.
  • Erste Ahnungen, dass der Angehörige zuviel trinkt.
  • Ermahnungen, weniger zu trinken.
  • Übernahme von Verantwortung bei Schwierigkeiten durch Alkohol.
  • Erste Entschuldigungen und Ausreden für den trinkenden Angehörigen.
  • Gespräche über den Alkoholkonsum werden schwieriger.

Kritische Phase

Das Problem ist so offensichtlich, dass es nicht mehr unterdrückt werden kann. Die Angehörigen fordern vom Alkoholkranken, dass er mit dem Trinken aufhört. Der Betroffene kann dieser Forderung nicht nachkommen. Es kommt zu Vorwürfen, die den Abhängigen immer weiter in die Sucht treiben.

  • Zweifel an der eigenen Beobachtungsgabe, Unsicherheit bei der Situationsbeurteilung.
  • Verstärkte Versuche, dem Betroffenen zu "helfen".
  • Co-Alkoholisches Verhalten z.B. durch kontrollieren etc.

Akute Phase

Die Alkoholkrankheit lässt sich vor der Umwelt nicht mehr verheimlichen. Es werden nur noch kurzfristige Ziele gesetzt, z.B. "Trinke wenigstens nicht, wenn heute Besuch kommt" etc. Die Familie treibt sich zunehmend selbst in die soziale Isolierung. Drohungen, ohne Konsequenzen zu ziehen.

Sozialer Rückzug

Sämtliche Verantwortungen und Pflichten des Betroffenen werden übernommen.

Die Kapitulation

  • Jetzt werden Anstrengungen unternommen, der Problematik zu entrinnen.
  • Anerkennung, dass man das süchtige Trinken nicht direkt ändern kann.
  • Erkenntnis des eigenen Fehlverhaltens und unerfüllter Bedürfnisse - ernsthafte Trennungsabsichten, die evtl. in die Tat umgesetzt werden.
  • Lernen "loszulassen" und erkennen, dass man gegenüber der Alkoholkrankheit des Partners/Angehörigen machtlos.

Kinder in der Co-Abhängigkeit

Das Kind bemerkt doch nichts!" Diese Auslegung vieler Eltern und Erziehungsberechtigter ist ein fataler Irrglaube! Kinder bekommen mehr mit als man denkt. Kinder können ihre Ängste und Nöte nicht so zum Ausdruck bringen, wie Erwachsene das tun können. Sie leiden still.

Kinder können sich keine neuen Eltern suchen, sie sind auf die Liebe und Versorgung angewiesen, bis sie selbst stark genug sind. Leider werden gerade in einer Familie mit Alkoholproblemen Zuwendungen an Bedingungen geknüpft. Das Kind versucht diese Bedingungen zu erfüllen, damit es Liebe und Zuneigung erhält. Auf diese Weise lernt das Kind schon frühzeitig, sich co-alkoholisch zu verhalten.

Gerade Kleinkinder merken, dass etwas nicht stimmt, aber sie können es (noch) nicht richtig einordnen. Ältere Kinder leiden bewusster, auch wenn sie sich darüber nicht äussern. Erkannt wird dies meistens erst, wenn es zu schwerwiegenden Verhaltensstörungen kommt, die nicht auftreten müssen, aber häufig auftreten können.

Wenn es in der Familie ein Alkoholproblem gibt, haben Kinder kaum Chancen, sich darüber auszusprechen. Viele Kinder versuchen ihre Eltern (besonders den trinkenden Elternteil) in Schutz zu nehmen. Häufig schämen sich diese Kinder so sehr, dass sie keine Gleichaltrigen mit nach Hause bringen und sich dadurch zusätzlich isolieren.

Eine Erwachsene aus einer Alkoholikerfamilie dazu: "Als ich klein war, habe ich sehr wohl gemerkt, dass mit meiner Mutter etwas nicht stimmt. Erst als eine Freundin (deren Vater Alkoholiker war) zu mir sagte, deine Mutter säuft, wurde mir klar, was los war. Ich wusste nie, was mich zu Hause erwartet. Deswegen habe ich auch möglichst keine Freunde mit nach Hause gebracht. Einmal wurde ich mit Liebe überschüttet, dann wieder gab es grundlos Prügel.

In der Familie wurde es mir verboten, über das Problem zu sprechen, nach aussen wurde schlicht und einfach alles totgeschwiegen. Wenn ich für meine Mutter einkaufen musste, da sie dazu zu besoffen war, musste ich beim Kaufmann immer sagen, dass der Wein für meine Mutter "zum Kochen" gebraucht wird. Bloss nichts nach aussen dringen lassen, das war die Devise. Ich selber habe mich auch nicht getraut darüber zu sprechen, da es ja verboten war und ich mich zutiefst geschämt habe."

Kinder aus Familien mit Alkoholproblemen entwickeln regelrechte Überlebensstrategien für sich, dabei verlieren sie aber etwas ganz Entscheidendes, nämlich ihre eigene Kindheit. Sie übernehmen unbewusst "Rollen" um das Familienleben wieder in die Balance zu bringen.

Das "Heldenkind"

Das "Heldenkind" übernimmt Aufgaben der Erwachsenen (z.B. Haushaltsarbeiten). Es ist leistungsorientiert, überverantwortlich, es braucht Zustimmung und Anerkennung von anderen. Mögliche Folgen im Erwachsenenleben: Workaholic, kann Fehler oder Misserfolg nicht ertragen, zwanghaftes Verhalten, kann nicht "nein" sagen, sucht sich später einen suchtmittelabhängigen Partner. Übertriebene Verantwortlichkeit, extreme Zuverlässigkeit auch wenn diese nicht angebracht ist.

Der "Sündenbock"

Der "Sündenbock" fällt negativ auf, beispielsweise durch schlechte Schulleistungen, Aufsässigkeit oder Straftaten. Dieses Kind lenkt die Familie von den eigentlichen Problemen ab. Das Fehlverhalten ist aber nichts anderes als ein Hilfeschrei.

Mögliche Folgen im Erwachsenenleben: Suchtkrankheit, Straffälligkeit, Teenager-Schwangerschaft sowie allgemeine Lebensprobleme. Verantwortungsloses Verhalten.

Das "verlorene Kind"

Das "verlorene Kind" wird zum Einzelgänger, fühlt sich minderwertig, ist still und gehorsam. Es ist ein extrem "pflegeleichtes" Kind, das keine Probleme macht.

Mögliche Folgen im Erwachsenenleben: Keine Lebensfreude, häufig Beziehungsstörungen, kann nicht "nein" sagen und kann keine Veränderungen eingehen. Gnadenlose Selbstverurteilung.

Das "Maskottchen"

 Das "Maskottchen" überspielt die Spannungen in der Familie durch fröhliches Herumkaspern. Es tut alles, um Lachen oder Aufmerksamkeit hervorzurufen, vielfach auch nur um von den eigentlichen Problemen abzulenken. Wirkliche Gefühle kann es nicht zeigen, diese werden unterdrückt.

Mögliche Folgen im Erwachsenenleben: Kann Stress nicht ertragen, lebt eng an der Grenze zum Hysterischen. Sucht sich als Partner "Beschützerpersönlichkeiten". Ständig auf der Suche nach Anerkennung und Bestätigung.

Erwachsene Kinder von Alkoholkranken

Erwachsene Kinder von Alkoholkranken tragen meist die schmerzlichen Gefühle aus der Vergangenheit in sich. Sie neigen zum Perfektionismus oder kümmern sich bis zur Selbstaufgabe um andere. Gerade in Partnerbeziehungen kommen diese Probleme zum Tragen.

Sie suchen Nähe und finden sie nicht, da sie meist Partner wählen, die selbst abhängig, unerreichbar oder nicht bindungsfähig sind. Sie erleben immer wieder, dass sie allein gelassen werden und fühlen sich überfordert, wie in ihrer eigenen Kindheit. Diese Erwachsenen sind selbst hochgefährdet, in eine Abhängigkeit zu geraten, da sie es nicht anders kennengelernt haben, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

Wie einem Alkoholabhängigen helfen?

Eine mir nahstehende Person ist Alkoholiker. Was kann ich tun?

Folgende Punkte sollten Sie für sich verinnerlichen:

  • Ich kann an der Trinkerei des Abhängigen nichts ändern.
  • Ich drohe und kontrolliere nicht mehr.
  • Ich verwöhne und versorge den Abhängigen nicht mehr länger.
  • Ich werde für den Abhängigen nicht mehr lügen und ich lasse mich auf keinerlei Diskussionen mit dem Abhängigen ein.
  • Ich verstehe, dass er/sie krank ist. Aber ich werde sein/ihr Verhalten nicht tolerieren.
  • Ich setze klare Grenzen, was ich in Kauf nehme und was nicht. Ausserdem sage ich verbindlich, was ich tun werde, wenn er an seinem Verhalten nichts ändert.
  • Ich tue etwas für mich. Ich besuche eine Selbsthilfegruppe, in der ich mich mit anderen Angehörigen austauschen kann.
  • Ich möchte glücklich und zufrieden leben, auch wenn der andere sich nicht ändert.
  • Ich unternehme Dinge, die mir Spass

Wie einem "trockenen" Alkoholkranken helfen?

  • Der trockene Alkoholkranke muss lebenslang völlig auf Alkohol verzichten, denn schon die kleinste Menge Alkohol (z.B. in einem Dessert), kann einen Rückfall in die Sucht einleiten. Den Entschluss zum alkoholabstinenten Leben kann der Betroffene letztlich nur selbständig und alleine fassen. Als Angehörige haben Sie jedoch die Möglichkeit ihm in seiner Abstinenz unterstützend zu helfen.
  • Leben Sie gemeinsam mit Ihrem Partner alkoholabstinent! Wenn Sie mit Ihrem Partner gemeinsam auf Alkohol verzichten, zeigen Sie damit Einfühlungsvermögen und Verständnis. Sie meiden gemeinsam den Stoff, der zuvor Ihr gemeinsames Leben vergiftete.
  • Alkoholkranke werden zwar selten die Mitabstinenz ihrer Angehörigen verlangen, sind aber dankbar, wenn diese ihnen selbstverständlich entgegengebracht wird und sie damit nicht alleine sind.
  • Sorgen Sie dafür, dass genügend und verschiedene alkoholfreie Getränke im Hause sind. Meiden Sie Alkoholvorräte im Haus! Machen Sie es zur Selbstverständlichkeit, dass es bei Ihnen keinen Alkohol gibt. Gastlichkeit kann man auch zeigen, indem man leckere alkoholfreie Drinks anbietet.
  • Sollte bei einer Feierlichkeit in Ihrem Haus doch Alkohol angeboten werden, sorgen Sie dafür, dass angebrochene Flaschen und Reste so schnell wie möglich entsorgt werden.
  • Meiden Sie Vorwürfe, die die Zeit vor der Abstinenz betreffen. Ziehen Sie einen Schlussstrich unter die Ärgernisse der Vergangenheit, denn diese Wunden dürfen nicht immer wieder aufgerissen werden. Schauen Sie nach vorne und nicht zurück.
  • Schliessen Sie sich gemeinsam einer Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige an. Das ist sowohl für den Betroffenen, als auch für Sie nahezu lebensnotwendig! Sie laufen so nicht in Gefahr in die Isolation zu geraten, Sie lernen neue Freunde kennen, die Ihre Sorgen und Probleme teilen und ebenfalls abstinent leben.
  • Sie brauchen die Gemeinschaft der abstinenten Gruppe, um Erfahrungen der anderen aufzunehmen und eigene Fehler zu vermeiden. Beispielsweise würde ein zu besorgtes und beschützendes Verhalten den trockenen Alkoholkranken beeinträchtigen und bedrücken.
  • Üben Sie wieder echte Partnerschaft ein! Während der Trinkzeit des Betroffenen war es notwenig, dass Sie alle Angelegenheiten regelten und häufig Entscheidungen alleine treffen mussten. Sie fühlten sich für den Kranken mitverantwortlich. Der Partner ist jetzt aber nüchtern und Sie können alles gemeinsam besprechen und regeln.
  • Ihr trockener alkoholkranker Partner muss seine Erfahrungen selber machen können, dazu gehören auch schmerzliche Erfahrungen. Erst dann kann er lernen, wie er mit Enttäuschungen, Angst und anderen unguten Gefühlen umgehen kann, ohne gleich wieder zur Flasche zu greifen. Sie als Angehöriger müssen lernen, Ihrem Partner nichts von seinen Aufgaben abzunehmen, auch dann nicht , wenn Sie meinen, dass Sie es vielleicht besser machen würden. Darüber hinaus müssen Sie lernen, sich wieder um Ihr Leben zu kümmern, anstatt auf das Ihres Partners aufzupassen.
  • Nehmen Sie sich Zeit für Gespräche. Sprechen Sie offen über Gefühle, Probleme, Sorgen, Ängste und Hoffnungen. Das schafft eine Vertrauensbasis, die durch die Trinkerei zerstört wurde. Achten Sie bei Meinungsverschiedenheiten darauf, sachlich zu bleiben. Versuchen Sie sich gegenseitig zu verstehen.
  • Machen Sie eine innerliche Inventur. Fragen Sie sich, was Ihnen fehlen wird, wenn der Abhängige nicht mehr abhängig ist. Im ersten Moment schein diese Frage etwas merkwürdig. Aber es ist wirklich ganz natürlich, dass Ihnen etwas fehlen wird, wenn sich etwas verändert. Sollten Sie sich über Jahre hinweg daran gewöhnt haben, Dinge zu tun, die die alkoholabhängige Person jetzt wieder selbst tun will, so heisst das nicht, dass Sie sich automatisch dabei wohlfühlen.

Test: Bin ich Co-abhängig

Doris Zumbühl

Doris Zumbühl ist diplomierte Medizinische Praxisassistentin. Sie verfügt über mehrere Weiterbildungen in den Bereichen Journalismus, IT und Bildbearbeitung.
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